Direkt zum Hauptbereich

Tradition Mord von Sarah Kessler - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Tradition Mord 


von Sarah Kessler


Der Anfang: 

Halide lief über die Kirschbaumplantage. Sie drehte sich im Kreis und reckte ihr Gesicht gen Himmel. Sie war fasziniert von der Kraft der Sonne. Obwohl es noch einige Minuten dauerte, bis sie strahlen würde, war es schon fast hell. Sie war noch nicht aufgegangen, aber ihre Präsenz war unverkennbar.


Jeden dritten Tag ermordet in Deutschland ein Mann seine (Ex)-Partnerin / (Ex)-Ehefrau: Femizid – das ist das Thema. Laut Klappentext geht es hier um eine junge Staatsanwältin, die im Fall eines Femizids die Anklage vertritt. Gleich nach dem Prolog lernen wir sie kennen. Es beginnt mit einer Messerattacke auf eine junge Frau, Aliye Yıldız, die im Krankenhaus liegt, den Angriff vielleicht nicht überleben wird, der hinterrücks erfolgte. Täter unbekannt. Dann geht es weiter in eine Familiengeschichte über drei Generationen. Am Ende hat wieder die Staatsanwältin das Wort. Halide ist eine türkische Frau, die Großmutter von Aliye, die mit dem Ehemann nach Deutschland auswandert. Ihre drei Kinder wachsen bereits in einer relativ gemäßigten Erziehung auf. Die Töchter Sabiha und Sadiye können nicht unterschiedlicher sein. Sabiha brav und Sadiye freiheitsliebend und trotzig. Bruder Kemals bester Freund ist ein Deutscher, der ein gerngesehner Gast im Haus ist, alles in allem eine recht gut integrierte Familie. Sadiye allerdings treibt es auf die Spitze, rebelliert und zieht von zu Hause aus, wohnt fortan in besetzten Häusern. Es ist ihre Geschichte, ihre Familiengeschichte. Von ihr Aliye erfahren wir nicht viel. Jemand hat versucht sie zu töten.


Die Staatsanwältin ermittelt


Sie war besessen von der Suche nach Wahrheit und sie lebte für ihren Job. In jeder Akte suchte sie nach dem größeren Rahmen. Auch wenn die Beweislage eindeutig war, stellte sie die Ermittlungen nicht ein, bis sie das Motiv der Täter:innen nachvollzogen hatte. Kein Mensch wurde einfach so straffällig. Es gab immer einen Auslöser, einen Ursprung – mal gesellschaftlicher, meist biografischer Art. Und erst wenn sie das Epizentrum eines jeden Falles gefunden hatte, konnte sie ihr Plädoyer schreiben. Ihre beste Freundin Esther, eine renommierte Psychotherapeutin aus Charlottenburg, attestierte ihr regelmäßig einen Hang zum Zwanghaften hinsichtlich der Akribie, mit der Frida täglich ihren Dienst antrat.


Nach der ersten zwei Seite war ich geneigt, den Kriminalroman abzubrechen. Die etwas ungelenke Sprache hatte mich genervt. Zu viele inhaltlich Wiederholungen zum Sonnenaufgang, eine schwache Stilistik, dass alles war mir zu holprig. Aber ich war neugierig. Die Sprache wird besser, auch wenn der Roman insgesamt gesehen nicht als sprachliches Highlight gewertet werden kann. Zu oft wird mir mit nichtssagenden Beschreibungen agiert, anstatt auf den Punkt zu kommen und Bilder zu entwickeln: «... steht vor einem wunderschönen Altbau», da entwickelt sich nichts in meinem Kopf. Am Anfang gibt es ein paar juristische Überlegungen – die Meinung der Staatsanwältin zum Rechtssystem wird vorgestellt. Das klingt an manchen Stellen recht trocken, wie ein Sachbuchauszug. Dagegen die leicht kitschig dargestellte private Vorstellung und der Lebenslauf von Frieda. Schreibstile, die nicht zusammenpassen und es kam mir vor wie ein Felsbrocken, die Figur am Anfang so massiv vorzustellen, in den Focus zu setzen, anstatt sie langsam zu entblättern. Klar, es geht nach 50 Seiten in die Geschichte von Sadiye. Erst auf Seite 159 ermittelt Frida weiter. 


Femizide

‹Mein Gott!›, fluchte sie. ‹Wie viele Menschenleben gerettet wären, wenn es dieses verflixte männliche Ehr- und Besitzanspruchsdenken nicht geben würde.›


Inhaltlich geht es um die sogenannten «Ehrenmorde». Noch in den 70-Ern sind in Deutschland Täter freigesprochen worden, man argumentierte, man müsse die Wertvorstellungen berücksichtigen, in denen die Täter wegen ihrer Bindung an eine fremde Kultur verhaftet sind, oder man betrachtete die Morde als Verzweiflungstat. Erst Mitte der Neunziger änderte sich die Einstellung. Man warf den Tätern niedrige Beweggründe vor, das Handeln wurde als verächtlich angesehen, weil sie sich in doppelter Art und Weise über die deutsche Rechtsordnung hinwegsetzen, die Stellung eines Richters und Vollstreckers einnehmen, private Todesurteile sprechen, wobei die Todesstrafe in Deutschland nicht existiert. Unsere Staatsanwältin geht noch weiter – Mord ist Mord – aber es existiert der sogenannte Femizid, Frauen die von (Ex)Partnern aus niedrigen Gründen getötet werden, angefangen mit banaler Eifersucht. Eine patriarchalische – eine geschlechtsbezogene Tötung. Und dies muss deutlich benannt werden, unabhängig der kulturellen Herkunft des Täters. Das Wort Ehrenmord müsse gestrichen werden. Mord hat nichts mit Ehre zu tun.


Eine Familientragödie

Man fragt sich als Lesender die ganze Zeit, wann Aliye in dieser Geschichte auftaucht. Mehr oder weniger gar nicht. Der Fall wird zudem nicht aufgeklärt, man bekommt nicht einmal ansatzweise ein Gefühl dafür, warum die junge Frau ermordet werden sollte. Weshalb und von wem wurde Aliye angegriffen? Das hat mich befremdet und ratlos zurückgelassen. Der Roman beginnt mit einem Tötungsdelikt, der beiseitegelegt wird. Hat die Autorin hier ihren Faden verloren? Die Familiengeschichte, die sich hier auftut, gibt keine Rückschlüsse auf die Täterschaft: eine herzliche, gebildete Familie. Der Vater von Aliye ist Arzt. Es entwickelt sich aus der Geschichte aber ein anderer Fall, der lange zurückliegt und konstruiert wirkt, weil er vom Klischee ablenken will, was gut gemeint ist, aber nicht in die Geschichte passt. Der Lesende wird ratlos zurückgelassen. Letztendlich, wenn man alles zusammenzählt, ist dies ein schwacher Justizroman: Ein nicht überzeugendes Konstrukt, Ausdruck und Stilistik schwächeln. Über Femizid zu schreiben ist wichtig und gut gemeint, mehr kann ich diesem Roman nicht abgewinnen. 



Sarah Kessler wurde 1993 in Kassel geboren. Aufgewachsen in Ostwestfalen und mit Zwischenstationen in Newcastle und Galway, zog es sie an die Universität Münster, um Politik zu studieren. Dort hat sie auch die Zusatzausbildung „Journalismus und Recht“ absolviert und befindet sich gerade in ihrem Zweitstudium: Jura – mit dem Schwerpunkt Kriminologie.



Sarah Kessler 
Tradition Mord
mit einem Nachwort von Dilken Çelebi
Zeitgenössische Literatur, Kriminalroman, Justizroman, Justizkrimi, Femizid
Taschenbuch, Seitenanzahl: 256
Hansanord Verlag, 2021






Am Thema interssiert? Hier ein paar Bücher, die das Thema Femizid behandeln:








Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm

Rezension - Rath von Volker Kutscher

  Gelesen von David Nathan Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 21 Std. und 49 Min. Gereon und Charlotte Rath warten im Herbst 1938 nur noch auf den richtigen Moment, Deutschland zu verlassen, um nach Amerika zu gehen. Sie treffen sich heimlich in Hannover , denn Charly lebt immer noch in Berlin und Gereon, der als verstorben gilt, wohnt inkognito in Rhöndorf am Rhein , weil er seinen im Sterben liegenden Vater nicht im Stich lassen will. Charly sucht ihren ehemaligen Pflegesohn Fritze, der ausgerissen ist und unter Mordverdacht steht. Als sich die Lage zuspitzt, muss Gereon sein Versteck verlassen und Charly zu Hilfe kommen, nach Berlin reisen. Der 10. und letzte Band der Gereon Rath-Reihe - wie immer hochspannend, historisch gut recherchiert. Noirliteratur , ein feiner literarischer Krimi ! Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Rath von Volker Kutscher