Rezension
von Sabine Ibing
Kochen ohne Strom
vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Das Notfallkochbuch – Die 50 besten Rezepte für Alltag, Camping und Notfall
Dies Buch ist ein Katastrophenkochbuch, im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich schwöre, rein interessehalber hatte ich mich für dieses Kochbuch bereits vor dem Krieg interessiert – es flatterte mit Kriegsbeginn auf meinen Tisch. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), die Bonner Feuerwehr, das Technische Hilfswerk und alle Bonner Hilfsorganisationen haben sich zusammengeschlossen, um mit einem Notfallkochbuch alltagstaugliche und praktische Tipps zum Thema «Kochen ohne Strom» an die Hand zu geben. Dafür wurden in einem Wettbewerb in ganz Deutschland Rezeptvorschläge gesammelt. Auch der Genussfaktor soll nicht zu kurz kommen, so die Beschreibung. Diese Aussage deckt sich nur bedingt mit meinem Geschmack. Aber letztendlich geht es nicht um Geschmack, sondern um Notlösungen für den Katastrophenfall. Stell dir vor, es ist Stromausfall und du hast nicht die Möglichkeit, an etwas Frisches heranzukommen ...
Als Erstes gibt es hier allgemeine Informationen: Was ist tun bei Stromausfall? Zum Beispiel, alle Geräte ausstellen, damit sie, wenn wieder Strom fließt, sich nicht automatisch anschalten (der Herd z.B.). Dann geht es weiter zu Feuerstellen, brennbaren Stoffen und die Verbindung zu Sauerstoff, Kochstellen, der sichere Umgang damit. Das Thema Vorratshaltung (für mindestens 10 Tage sollte man versorgt sein) ist mir zu kurz geraten; denn Vorratshaltung ist das A und O für die Notversorgung. Hier fehlt mir eine Liste der Nahrungsmittel, die sich besonders gut eignen, das Warum, bzw. eine Anmerkung, welche Nahrungsmittel ernährungsphysiologisch wichtig sind. Es gibt ja eine Menge Grundnahrungsmittel, die bereits mit heißem Wasser oder mit sehr kurzer Kochzeit garen, wie Couscous, asiatische Nudeln, Kurzkochreis, Suppennudeln. Was sollte im Regal liegen? Kein Wort dazu. Brühpaste/würfel, die ganze Palette der Hülsenfrüchte, Sauergemüse, Tomatendosen, Zwiebeln, Knoblauch, Kartoffeln (ev. Kartoffelbrei in Tüten), H-Milch, Milchpulver, Hartkäse wie Parmesan, Essig, Öl, Sojasoße u.ä., Dosenfisch, Dosenwurst, Würstchen im Glas, Trocken- und Dosenfleisch usw. die hätten hier hineingehört. Was macht man mit seiner aufgetauten Tiefkühlkost, wie kann man die schnell verarbeiten, ohne, dass sie verdirbt? Das wäre für mich wichtig gewesen. Nun folgt ein Kapitel über Erste Hilfe für Grillmeister.
Säuglingsnahrung und Kindernahrung, die für Stillende, der Grundbedarf wird erklärt und auch Haustiere darf man nicht vergessen. Wenn der Strom ausfällt, kommt natürlich auch kein Wasser mehr aus dem Hahn. Trinkwasser lagern – und wie lange ist es haltbar? Auch hier fehlt eine gravierende Information: Wie mache ich Wasser aus natürlichen Ressourcen genießbar. Es gibt einfache Geräte, mit denen das möglich ist. Das Einmachen von Nahrungsmitteln wird kurz erklärt. Eine natürliche Möglichkeit der Vorsorge. Am Ende gibt es ein Kapitel über die globale Ernährungssicherheit, das Hungerproblem, den Umgang mit unseren Ressourcen über mehrere Seiten. Gut gemeint, aber das hilft und im Katastrophenfall nicht weiter. Damit kann man dicke Bücher füllen, ein völlig anderes wichtiges Thema.
Aus über 500 eingereichten Vorschlägen wurden die besten 50 Rezepte ausgewählt, Frühstücksideen, Suppen und Salate, Hauptgerichte, Snacks sowie Desserts. Wenn das die beste Auswahl ist, möchte ich nicht die anderen 450 sehen ... dies ist wirklich kein Buch für Leckerschmecker. Es beginnt mit viel Süßem. Warum eigentlich? Energiefutter geht auch anders! Denn Süßes macht Hunger auf mehr Süßes! Kalt hergestellte Croissants (???) aus Haselnussmehl, Mandeldrink, Chiasamen, Leinsamen und Kakaopulver – hat ja auch jeder zu Hause die Zutaten ... Warum nennt man das Croissants und nicht Nussecke? Denn mit diesem Blätterteiggebäck hat das rein gar nichts zu tun! Das Einfachbrot über Teelichtern gebacken fand ich gut. Aber wo bleiben die einfachen Fladenbrote, die schnell gemacht sind? Nicht unsere Kultur? Buchweizen-Porridge mit Dosenpfirsich, vegane Pancakes ... Immer wieder Pflanzendrinks, Buchweizenmehl, Reismehl, Agavendicksaft, Reissirup, Leinsamenschrot, Leinsamen, Dinkelflocken - hat das jeder zu Hause im Vorrat? Rosinencouscous mit Kichererbsenmus – fand ich gut – aber besser hätte mir gefallen, wenn man Couscous und Hummus ganz allgemein gewürdigt hätte, mit den vielen Möglichkeiten es variantenreich mit anderen Zutaten immer neu zu erfinden.
Das so bezeichnete «Gazpacho Andaluz» - warum nennt man es nicht Tomatensuppe - jeder Spanier würde die Macher für die Verwendung dieses Begriffs erschlagen! Es geht um Not, klar – da isst der Mensch fast alles. Die Turbogulaschsuppe mit Beef-Jerky, getrocknetem Fleisch, ist das erste Rezept, das mich anspricht. Die Coco-Tuna-Suppe ist ok – aber warum verwendet man Spaghetti, die eine lange Kochzeit haben und auch noch Kartoffeln? Asiatische Nudeln ziehen in heißem Wasser ohne kochen zu müssen. Eine Suppe aus Wasser und Kartoffelpüree mit Brühwürfel. Hilfe! Man kann angebratenen Speck und Zwiebeln oder Karotten beifügen ... das wäre Minimum – aber wie wäre es mit Eiweiß? Eine Dose Erbsen wäre geschmacklich und eiweißtechnisch perfekt. Sauerkrautsalat – ganz klassisch. Die Köfte ohne Wasser zubereitet sind klasse – aber hier sind auch frische Tomaten und Salat im Spiel. Rote-Beete-Salat mit Quinoa – gute Eiweißalternative. Prima Couscous- und Kichererbsensalat, wie auch der Erbsen-Thunfischsalat, ein ähnlicher mit Mais und Erdnüssen. Aber auch beim Prepper-Taboulé finde ich es anmaßend, den Namen zu benutzen, ebenso bei der Bolognese, bestehend aus Linsen und Tomatensoße aus dem Glas. Es gibt dann doch noch einige gute Rezepte mit Hülsenfrüchten, Salate und Suppen, was mich nach anfänglicher Skepsis wieder ein wenig ausgesöhnt hat.
Fazit: Das Buch ist Mittelmaß. Es gibt ein paar interessante Rezepte. Was mich wirklich geärgert hat, ist die Verwendung von Begriffen in Rezepttiteln, die geschützt sind, die teilweise zum Weltkulturerbe gehören. Denn diese Rezepte haben rein gar nichts mit dem Original, z.B. mit Croissant oder Gazpacho zu tun! Vom Aufbau her hat völlig die Vorratshaltung gefehlt! Genau das sollte Sinn und Zweck von einem solchen Buch sein. Was gehört in den Vorrat, wie lange hält es sich und was hat keinen Sinn. Ein Problem beim Stromausfall ist die Tiefkühltruhe. Was muss ich zuerst essen, wie kann ich es verwenden, es haltbar machen? Gibt es Alternativen zum Garen? Meine Großmutter stellte Milchreis, Kartoffeln und andere Dinge nach dem kurzen Aufkochen ins Bett, um das Gut zu Ende zu garen. Dazu gibt es heute Alternativen, die Garkiste z.B. (selbst bauen oder kaufen), die auch ohne Katastrophe sehr gut zur Energieeffizienz taugt: Kurz aufkochen, ab in die gedämmte Holzkiste, nach ein paar Stunden ist Gemüse usw. gar. Ein jahrhundertealtes Prinzip. Eine Anleitung zum Selberbauen wäre nicht schlecht gewesen. Auch die Resthitze vom Grill kann man sinnvoll nützen, besonders, wenn er einen Deckel hat. Wie kühle ich alternativ ohne Strom? Was mir auch fehlte, ist die Erklärung zur Bedeutung von Eiweiß und Vitaminen, haltbare Lebensmittel zum Thema vorzustellen, ebenso die Vorstellung von kurzgarenden Getreidearten und Nudeln. Die Aufbereitung von Wasser zu Trinkwasser fehlte völlig. Das alles sind wichtige Informationen für die Vorbereitung eines Notfalls - nicht der Welthunger, den ich nicht abtun will. Wenn dies die Katastrophenhilfe für den Notfall sein soll, dann wird mir klar, der Notfall wird in unseren Breiten zur Katastrophe ... Im Untertitel heißt es ja Rezepte für Alltag, Camping – nein, nicht tauglich; denn hier kochen wir lieber mit frischen Zutaten – das sind Rezepte für den Notfall.
Kochen ohne Strom
Das Notfallkochbuch – Die 50 besten Rezepte für Alltag, Camping und Notfall
Kochbuch, Rezepte, Katastrophenschutz, Kulinarisches, Sachbuch
Paperback, 152 Seiten, 16,2 x 21,5 cm
Bassermann Verlag, 2022
Kulinarische Bücher
Kochbücher, Backbücher und alles rund um Lebensmittel findet sich kompakt auf dieser Seite. Auch Genussromane, soweit ich welche lese. Schleckermäulchen also hierher klicken:Sachbücher
Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.Sachbücher
Herzlichen Dank für deine Buchkritik, deine Gedanken und Anregungen sind toll. Gibt es eine Buchempfehlung für das Fehlende ? Liebe Grüße aus Österreich 🇦🇹
AntwortenLöschenMir ist keins bekannt. Das heißt nicht, dass es bereits gute Bücher zum Thema gibt. Schon heute wird in Kochgruppen nach Rezepten und Methoden gefragt, die energiesparend sind. Die Krise ist angekommen. Gas und Strom sind teuer. Wäre schön, wenn sich ein Verlag dem Thema durchdacht annehmen würde. Ökotrophologen, praktische Köche mit breitgefächertem Wissen, Camper, Wanderer, jemand vom Katastophenschutz, der etwas von Wasseraufbereitung und Vorrat versteht, vielleicht ein Prepper ... ;-)
AntwortenLöschenWir gehen auch gerne campen;)
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