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Fiona – Wo die Toten leben von Harry Bingham - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing


Fiona – Wo die Toten leben 

von Harry Bingham


Der heilige Antonius. Die einzige Ikone … Ich nehme den Heiligen genau ins Visier, und er mich. Taffer Kerl, denke ich. Abgebrüht mit allen Wassern gewaschen wie manche Kollegen in Cardiff, London oder jeder beliebigen Großstadt. Der Hauptunterschied: Mit so einem Bart käme kein Polizist durch. Mit dem Heiligenschein auch nicht.

Dies ist bereits der fünfte Band der Serie um Fiona, einer britischen Ermittlerin. Leicht soziopathisch, aber dabei integer, meist den Regeln angepasst, eine Frau die nicht aufgibt, wenn sie erst mal Lunte gerochen hat. Clever, mit gutem Instinkt und Disziplin ausgerüstet, ermittelt sie auch in Richtungen, die für andere längst kalt sind, abstrus, völlig unnötig. Der erste Band »Fiona – Als ich tot war» hatte mich bereits begeistert. Warum ich die Serie nicht weiter verfolgt habe, ist mir selbst ein Rätsel, denn diese literarische Krimiserie hat nun mein Herz erobert und Harry Bingham gehört nun zu meinen Lieblingsautoren Abteilung Crime. Er schafft es, wundervolle Bilder zu schaffen: Orte, Personen, Situationen – der Leser gleitet völlig hinein in die Geschichte – zumindest ging es mir so. Man wird zum Teil von Fiona, die aus ihrer Ichperspektive berichtet.

Mittags treffen Burnett und ich uns noch zu einer Art Abschiedsessen in einem schmuddligen Imbiss hinter dem Polizeirevier. Diese Art Etablissement, wo die laminierten Speisekarten auf der Tischfläche kleben bleiben. Wo es bei Lasagne schon exotisch wird. Burnett bestellt das Mittagsgericht mit Hühnchen. Ich wähle Bohnen auf Toast.

Fiona, hat das Cotard-Syndrom

Fiona, hat das Cotard-Syndrom, das wahrscheinlich durch ein traumatisches Erlebnis in frühster Kindheit entstanden ist. Leichte Depressionen und reizunabhängige Sinneswahrnehmungen gehören zu den Auswirkungen – die Betroffenen halten sich manchmal für tot. Nachteilig für Fiona sind Depressionsschübe, dagegen nimmt sie Medikamente. Vorteil der Krankheit, sie kann sich mental in Person einfühlen, bekommt schnell Zugang zu Menschen. In diesem Krimi geht es um eine Tote, die hübsch aufgebahrt mit einer Bibel in der Hand in einem sogenannten »Totenhaus« liegt. Es gibt keine Anzeichen für einen Mord. Doch merkwürdig, diese junge Frau wurde unübersehbar durch Schönheitschirurgen aufgehübscht, teure Operationen. Eine sehr gepflegte Frau aus anscheinend gehobenen Kreisen … Und eine solche Frau trägt kurzgeschnittene Fingernägel und hat die Beine nicht rasiert? Niemand hat sie vermisst gemeldet … Fiona erscheint genau das merkwürdig. Und wirklich, die Obduktion zeigt, die Frau ist an einer Krankheit gestorben, von der sie selbst wahrscheinlich nichts ahnte. Fall abgeschlossen. Nicht für Fiona – wer ist die Frau und warum meldet sich niemand auf den Presseaufruf? War sie ein Entführungsopfer, das in einem entlegenen Cottage versteckt wurde? Aber warum betete sie kurz vor ihrem Tod in einem Kloster, nah dem »Totenhaus«? Fiona darf nebenbei an diesem Fall dranbleiben.

Glaubhafte Protagonisten und glaubhafte Story

Das Zimmer müffelt nach Hund und Katze und Schlamm und vielleicht auch nach Schaf. Ein alter Ölherd. Aufgeworfener Linoleumboden. Nasse Stiefel auf Zeitungspapier. Eine flache fadenscheinige Tweedmütze.

Die Polizeiarbeit von Sergeant Fiona Griffiths von der walisischen Kriminialpolizei CID aus Cardiff wird hier ziemlich gut beschrieben, ein strukturiertes, autoritäres System, Kompetenzgerangel. Fiona weiß, wo sie »Ja, Sir« sagen muss, die Hacken zusammenknallen und wo sie über ihre Kompetenzen hinausgehen kann, wie etwas verpackt werden muss. Sie hat ein privates Klosterwochenende gemacht, mit einer Freundin zusammen, schweigen und in sich gehen – und ganz zufällig hat sie Beobachtungen gemacht …
Und noch immer beschäftigt Fiona ihre Herkunft: Wer waren ihre Eltern, die sie mit 2 Jahren aussetzten. Sie ist sich ziemlich sicher, dass ihre Stiefeltern mehr wissen, als sie behaupten. Harry Bingham schafft es, mit Fiona eine vielschichtige Persönlichkeit zu zeigen, glaubwürdig in ihrer Person, auch in ihrer Abstrusität. Er zeigt wie immer eine authentische Polizeiarbeit mit allen Amtshindernissen und der intensiven Feinarbeit etwas herauszufinden, Recherche, Spurenauswertung, Abklappern, suchen … Fiona ist eine taffe Person, aber sie wird nie überdimensioniert. Sie geht gern eigene Wege, ist aber immer ins Team eingebunden. Harry Bingham schafft Bilder in allen Sinnesbereichen in großer Erzählkunst, bindet immer wieder philosophische Diskussionen ein, zeigt interessante Dinge auf. Hier geht es um Entführungen von Kindern reicher Eltern, man erfährt etwas über das Höhlensystem von Südwales. Und von Anachoreten hatte ich nie zuvor etwas gehört. Alles in allem für mich ein Spitzenkrimi. Die mir fehlenden Fionas hole ich nach. Ich bleibe auch dran an allem, was Harry Bingham demnächst produziert.

Harry Bingham ist gebürtiger Londoner. Er studierte in Oxford Politik und Wirtschaft, beschäftigte
sich danach mit dem ökonomischen Wiederaufbau Osteuropas und brach schließlich eine Karriere bei der Bank J.P. Morgan ab, um Bücher zu schreiben. Seine Thriller um die einzigartige Fiona Griffiths aus Cardiff erregten international Begeisterung und wurden in Großbritannien Vorlage einer Fernsehserie.

Weitere Bände bisher:

Fiona. Den Toten verpflichtet1. Teil
Fiona. Unten im Dunkeln4. Teil




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