Rezension
von Sabine Ibing
Zugvögel
von Charlotte McConaghy
Sprecher: Eva Meckbach
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 9 Std. und 52 Min.
Der Anfang:
Die Tiere sterben. Bald sind wir hier ganz allein.Damals hat mein Mann eine Kolonie Sturmschwalben entdeckt, an der felsigen Küste des unbezähmbaren Atlantiks. In der Nacht, als er mich dorthin mitnahm, wusste ich noch nicht, dass sie zu den Letzten ihrer Art gehörten. Ich wusste nur, wie ungestüm sie in ihrer nächtlichen Höhle waren, wie verwegen sie über das mondhelle Wasser schossen. Wir blieben eine Zeitlang bei ihnen, und in diesen wenigen Stunden im Dunkel konnten wir uns einreden, wir wären wie sie, genauso wild und frei.
Franny hat ihr ganzes Leben am Meer verbracht, die wilden Strömungen und gefiederten Gefährten den Menschen vorgezogen. Selbst ein Zugvogel, in Irland geboren, mit der Mutter aufgewachsen, dann beim Vater in Australien abgesetzt, später auf der Suche nach der Mutter hat sie in Irland, Norwegen, Grönland, Neufundland, Argentinien gelebt, bis sie ihren späteren Mann Niall an der Universität in Galloway, Schottland, kennenlernt. Zugvögel ist eine Dystopie, spielt in einer Zeit, in der durch den Klimawandel und Menschenhand fast alle Tiere ausgestorben sind – es gibt nur noch Nutztiere. Nur ein paar Küstenseeschwalben haben überlebt und die Protagonistin Fanny beschließt, ihnen bis in die Antarktis zu folgen. Die Schwalben halten unter den Zugvögeln den Streckenrekord. Dazu heuert sie auf einem Fischerboot an, gibt sich als Ornithologin aus. Denn die Schwalben folgen den letzten Fischschwärmen.
Mir wird ganz anders bei dem Gedanken, an Bord eines dieser erbarmungslosen Schiffe zu sein, mit Menschen, die die Weltmeere verwüsten, aber sonst bleiben mir keine Möglichkeiten mehr, und außerdem wird die Zeit knapp.
Den Vögeln folgen
Die Crew ist eine verschworene Gemeinschaft, tritt Franny zunächst misstrauisch entgegen, doch sie schafft es, sie zu überzeugen, den Weg der Vögel in die Antarktis zu folgen, um reichen Fang zu machen. Sie steuern einem Peilsender nach, den Franny an einem Vogel befestigt hat. Stück für Stück kommen sich die Menschen auf dem Boot näher und sie erfahren, dass Franny auf Bewährung ist, gerade gegen ihre Auflagen verstößt, mit einem falschen Pass reist – sie hatte jemanden getötet. Doch nun gehört sie zur Crew und wird von der Mannschaft beschützt. Während der abenteuerlichen Fahrt werden immer weiter Stücke der Backstory eingeflochten, der Leser erfährt von der Vergangenheit der Protagonistin.
Schwülstigen Sound
Vergiss die Sicherheit. Lebe, wo du zu leben fürchtest.
Die erste Hälfte fand ich recht spannend. Doch dann schiebt sich die Story immer mehr auf Frannys Erinnerungen und Gedanken. Sie ist teils schwer depressiv, dann wieder aggressiv, zerbrochen an ihrer Biographie. Ihr Leben ist «ein Vogelzug ohne Ziel», nichts und niemand kann sie halten – ein Mensch auf der inneren Reise der Selbstzerstörung. An manchen Stellen ist das Buch wunderschön, man lässt sich in die eisige Natur fallen, eiskalte See tut sich auf. Dann wieder gibt es ziemlich kitschige Stellen, in denen die Autorin pathetisch dahinplappert. Sämtlichen Charakteren fehlt letztendlich die Tiefe. Wer Miroloi mochte, dem wird der Roman gefallen. Es ist ein ähnlicher Schreibstil und das Hörbuch wird von einer ähnlichen jugendlichen Stimme getragen, die den schwülstigen Sound unterstreicht. Der erste Teil ist dystopisch, beschäftigt sich mit der Unvernunft des Menschen, mit Klimaerwärmung und Artensterben. Leider nur am Anfang, oberflächlich als Fakt. Dann geht es lediglich um Franny, der Inhalt verflacht sich. Schade. Wer Romane mag, die zu Herzen gehen, der wird diesen mögen.
Charlotte McConaghy, Jahrgang 1988, hat irische Wurzeln und wuchs in Australien auf. Ihre Passion für die Natur und Tierwelt und ihre Erschütterung über die Auswirkungen des Klimawandels inspirierten sie zu »Zugvögel«, ihrem literarischen Debütroman, mit dem sie den internationalen Durchbruch erreichte. Sie hat einen Abschluss als Drehbuchautorin der Australian Film Television and Radio School. McConaghy lebt heute in Sydney.
Zugvögel
Sprecher: Eva Meckbach
Aus dem australischen Englisch übersetzt von Tanja Handels
Dystopie, Roman, Abenteuerroman
Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 9 Std. und 52 Min.
Argon Verlag 2020, Audible
Hardcover, 400 Seiten
S. FISCHER, 2020
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