Rezension
von Sabine Ibing
Der Wald
von Nell Layshon
Der erste Satz: Sofia hört, wie sich die Klappe des Briefschlitzes öffnet und schließt, hört das Gewicht der Briefe, wie sie auf den Boden fallen.
Im letzten Jahr war ich von dem Roman »Die Farbe von Milch von Nell Leyshon« sehr begeistert, für mich eins der besten Neuerscheinungen des letzten Jahres. Und natürlich freut man sich auf das nächste Buch. Leider bleibt der neue Roman um Klassen hinter dem letzten zurück. Das Cover ist wunderschön, aber ehrlich, mich hätte es samt Titel nicht angesprochen, würde ich die Autorin nicht kennen. Es wird dem Buch auch keinesfalls gerecht. So schürfte ich im Netz nach dem Original, denn der Verlag hat keine Angaben im Buch dazu gemacht, und nicht mal auf der Webpage der Autorin wird man fündig. Laut Verlagswebsite heißt das Original »The Forest«. Rosafarbener Hintergrund mit tintenblauer Lackfarbe gestaltet den Titel, in gleichem Blau Vögel und Zweige - für mich deutete das auf ein feminines Buch hin, Liebesroman, man denkt auch an Märchen bei diesem Titel oder dergleichen. Letztendlich geht es um eine Mutter-Sohn-Beziehung, um die deutsche Besetzung von Polen. Wer hätte das erwartet?
Die Geschichte beginnt mitten im 2. Weltkrieg
Die Juden hassen sie am meisten.«
»Stimmt.«
»Bin ich ein Jude?«
»Nein.«
»Was ist ein Jude?«
»Ein Jude ist eine bestimmte Sorte Mensch«, sagt sie. »Das ist alles. Wir sind alle Menschen, aber sie haben eine andere Vorstellung von Gott.
Der Roman ist in zwei Zeitebenen geteilt, das Jetzt – hier heißt die Protagonistin Sofia, wohnt in England – und in einen zweiten Strang, der in den 1940-er Jahren in Polen spielt und dort heißt die Figur noch Zofia. Es gibt auch zwei Erzähler: Sofia, die Mutter und Pawel der Sohn. In der Rückblende erfährt der Leser, dass die Familie in einem Haus am Rande von Warschau im von Deutschland besetzten Polen lebt, einst wohlhabend, mit Köchin, Kindermädchen und Haushaltshilfe ausgestattet. Der Krieg sendet Bomben, das Leben gestaltet sich schwierig. Die Großmutter ist Ärztin, sehr strukturiert, hat sich mit dem Leben arrangiert. Ganz nach dem hippokratischen Eid macht sie bei Hilfesuchenden keinen Unterschied, sie behandelt jeden. Manche Patienten kann man nur heimlich behandeln, das macht die Sache gefährlich. Sie sagt, der kleine Pawel will immer alles genau wissen und sieht die Welt mit seinen eigenen Augen, er scheint einem russischen Roman entstiegen zu sein. (eine wunderschöne Passage) Zofia, seine Mutter, leidet unter der Situation, denn man hungert, muss lange in Schlangen anstehen, um ein Brot auf Lebensmittelmarken zu ergattern. Sie flüchtet in das Geigenspiel zusammen mit Pawel, ein tägliches Ritual. Karol, ihr Mann, hat sich verändert. Einst ein bildender Künstler, hat er sich nun dem Widerstand angeschlossen, ist kaum zu Hause, und er hat sich einen barschen Schutzschild angelegt, er geht er mit seiner Frau ruppig und brutal um, was sie an ihm zweifeln lässt. Zum Haushalt gehört auch Zofias Schwester Joanna. Und eines Tages kommt es dazu, dass die Familie einen verletzten englischen Kampfpiloten aufnimmt, mit fatalen Folgen.
Versteckt im Wald
Sie lernt jetzt endlich, wie man das macht, dass man einen Gedanken abschneidet, als wäre es ein Zweig von einem Baum. Sie weigert sich, den Frauen zu folgen, sich auszumalen, wo sie jetzt sind, in diesem Moment.
Bis hierher hat mir der Roman sehr gut gefallen. Im zweiten Abschnitt müssen Zofia und Pawel fliehen, Karol versteckt sie mitten im Wald in der Scheune einer alten Frau, die von dem lebt, was sie anbaut und sammelt: Eingekochtes, Pilze, Kräuter, Wurzeln, Eier. Zofia zieht sich in sich zurück, verlässt zunächst die Scheune nicht. Schon vorher war die Beziehung zwischen Mutter und Sohn nicht sehr bindend, da Pawel eher vom Kindermädchen erzogen wurde. Zofia hatte sich ihr Leben anders vorgestellt, sie wollte Musikerin werden, glücklich sein mit Karol dem Künstler – die Mutter, die Schwester, was ist passiert? – Sofias Leben ist zerstört. Dem neugierigen Pawel treibt die Langeweile hinaus auf den Hof. Allmählich erwärmt er das Herz der schroffen Alten und lernt von ihr die Herstellung von Farben. Für mich hat dieser Teil erhebliche Längen und ich werde leider immer noch nicht warm mit den Protagonisten – sie bleiben mir fern, bis auf Pawel. Teils lyrisch, immer detailverliebt, hängt diese Mitte.
Ein Sprung durch die Zeit
Nun macht die Geschichte einen gewaltigen Zeitsprung ins Jetzt, und hier bleiben wir auch. Zofia heißt nun Sofia, sie ist alt und gebrechlich, kann nicht mehr gut gehen. Sie hat eine Morgenbetreuerin und eine Abendbetreuerin, die sie in ihrer Wohnung verpflegen. Wir erfahren, dass sie nun in England wohnt, damals durch eine Hilfsorganisation mit Pawel hierherkam. Von Karol ist sie geschieden. Pawel ging auf eine Privatschule und studierte Kunst, arbeitet als Künstler. Die beiden haben nicht viel Kontakt miteinander, denn Karol hat seine eigene Vorstellung vom Leben. Hier wird für mich das Buch wieder besser, aber Begeisterung ist etwas anderes.Zu viele Fragen bleiben offen

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