Rezension
von Sabine Ibing

Der Retter
von Mathijs Deen
Der erste Satz:
Als in der Nacht vom 3. auf den 4. März 1995 plötzlich Sturm aufkam, Böen von fast hundert Stundenkilometern durch die Strassen Norderneys fegten, auf dem Hafengelände Türen schlugen und die Stage und Wanten der Boote sangen, wanderten Michael Waagmanns Gedanken, wie immer, wenn er bei Sturm in seiner Koje auf Notrufe wartete, zu jener windstillen Nacht des Jahres 1974, als er Technischer Wachoffizier auf der MS Antwerpen war.
Bei einem Spaziergang an der Küste Northumberlands stoßen niederländische Urlauber auf die Überreste einer Leiche. Eine alte Schwimmweste deutet auf eine Verbindung zu einem 21 Jahre zuvor geschehenen Unglück hin. Damals sank der Seeschlepper Pollux nördlich der Düneninsel Rottumerplaat. In einer komplizierten Mission der Seenotretter von Ameland und Norderney konnten alle Besatzungsmitglieder gerettet werden – bis auf den Kapitän. Kommissar Liewe Cupido der Bundespolizei, genannt «der Holländer» wird gerade von seinen eigenen Dämonen eingeholt, er fährt zu einer Beerdigung.
Cupido schleicht sich eher durch diesen Krimi
Die sechsundzwanzig Jahre alte Otto Schülke sollte zwar ersetzt werden, aber sie war mehr als gewissenhaftinstand gehalten worden und lief mit voller Kraft den schwarzen Wellenbergen im Seegatt entgegen.
Deshalb muss der neue, junge Kollege Xander Rimbach aus Süddeutschland ran – zeigen, dass er seetüchtig ist. Damals herrschte Sturm, die Rettung war nicht ganz einfach. Auch Geeke aus den Niederlanden, bekannt aus Band 1, interessiert sich für den Fall, bohrt auf Ameland nach, stellt fest, die Rettungsprotokolle der Holländer und der Deutschen weichen voneinander ab. Rimbach radelt mit Kollrgin Yildiz auf Norderney die ehemaligen Retter ab, bis er vergiftet im Krankenhaus landet. Warum mauern alle Beteiligten länderübergreifend? Und was befand sich in dem Koffer, dessen Rettung der Kaptain vor sein eigenes Leben stellte? Cupido schleicht sich eher durch diesen Krimi. Er ist meist abwesend, bzw. hängt in seinen Depressionen fest. Zum Ende hin taucht er wieder auf und trägt seinen Teil zur Ermittlung bei.
Wendungsreich mit gut herausgearbeiteten Figuren
Das Thema ist dieses Mal der Rettende. Der Helfende möchte nicht gelobt werden und niemals würde ein Retter über einen anderen schlecht reden, ihn kritisieren oder verraten. Auf Norderney steht das Denkmal für die Seenotretter, diese Protagonisten es gern wieder abbauen würden. Und wie lebt es sich damit, wenn man alles gegeben hat, aber nicht jeden retten konnte? Spuken die Toten in ihren Köpfen? Kupidos Vater war auf See gestorben. Liewe sollte mit hinaus zum Fischen, doch der Jugendliche hatte keine Lust damals – nicht sein Beruf. War sein Vater gestorben, weil Liewe sich verweigert hatte und er einen unerfahrenen alten Seemann stattdessen mitgenommen hatte? Kupido stellt Fragen an die Mannschaft – aber auch er stößt bei den alten Besatzungsmitgliedern auf eine Wand des Schweigens. Feinfühlig nähert sich Mathijs Deen dem Thema Rettung, dem Verlust und den Gefühlen, die entstehen, wenn man glaubt, falsch gehandelt zu haben. Es geht um Kameradschaft und bedingungslosen Zusammenhalt, bis über den Tod hinaus. Atmosphärisch ist die rauhe See beschrieben, das harte Leben und der wortkarge Menschenschlag. Ein ruhiger Nordsee-Krimi, wendungsreich mit gut herausgearbeiteten Figuren. Auch der 3. Teil ist wieder gelungen, aufs Neue ein interessantes Thema. Die Kriminalromane von Deen hallen stets nach. Empfehlung!
Mathijs Deen, geboren 1962, ist Schriftsteller und Hörfunkautor. Er veröffentlichte Romane, Kolumnen und einen Band mit Kurzgeschichten, der für den renommierten AKO-Literaturpreis nominiert war. 2018 wurde ihm für die literarische Qualität seines Werks der Halewijnpreis verliehen. Bei mare erschien von ihm zuletzt 2023 »Der Taucher«, der zweite Fall für den charismatischen deutsch-niederländischen Kommissar Liewe Cupido.

Mathijs Deen
Der Retter
Originaltitel: De Redder, 2024
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
Krimi Kriminalroman Kriminalliteratur Polizeikrimi, Whodunnit, Mysterykrimi, Niederländische Literatur
Hardcover mit Schutzumschlag, 378 Seiten
Mare Verlag, Hamburg 2024
Der Taucher von Mathijs Deen
In der Deutschen Bucht sucht das niederländische Bergungsschiff Freyja nach einem Container. Dabei stoßen die Männer vor Amrum auf ein seit 1950 verschollenes Wrack, das Kupfer im Wert von circa einer Million Euro an Bord haben soll. Niemand weiß davon, man könnte die Ladung heimlich bergen und verkaufen. So leuchtet die Besatzung zunächst das Wrack mit einer Unterwasserkamera aus. Dabei machen sie eine erschreckende Entdeckung: Ein Taucher ist mit Handschellen an das Wrack gekettet – mit Sicherheit tot. Kommissar Liewe Cupido von der Bundespolizei See aus Cuxhaven übernimmt und taucht hinunter. Makaber: Der Schlüssel der Handfesseln hängt in Sichtweite des Tauchers. Hier hat jemand aus Rache getötet!
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Der Holländer von Mathijs Deen
Opperwachtmeester Geeske Dobbenga befindet sich auf der letzten Fahrt mit dem Patrouillenboot - eine Abschiedsfeier, denn sie wird in den Ruhestand gehen und mit ihr das Schiff. Doch im Wattenmeer stößt das Team auf einen Toten. Sie retten den Körper, bevor die Flut ihn ins Meer hinausträgt, bringen ihn nach Delfzijl. Wer ist für die Leiche nun zuständig? Die Niederlande oder Deutschland? Ein feiner literarischer Krimi, der das Extremwattwandern zum Thema hat. Empfehlung!
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Der Schiffskoch von Mathijs Deen

Ein bemanntes Feuerschiff, auf engsten Raum zusammengedrängt, doch jeder ist hier für sich allein, jeder hat seine Gründe, hier gelandet zu sein. Zu den Mahlzeiten kommt man zusammen, genießt die Geselligkeit, doch dann zieht es die Einzelgänger in ihre persönlichen Rückzugsorte. Ein Böckchen, das alles durcheinanderwirbelt, ein Unwetter, das alles verschluckt, ein Koch im langen Delirium der Malariaanfälle. Eine nette Novelle, humorig, aber gleichzeitig mit Tiefgang. Eine feine Lektüre für Meeresfreunde, Schiffsliebe, gegen Meersucht.
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Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller
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