Direkt zum Hauptbereich

Das Haus über dem Fjord von Kristin Valla - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Das Haus über dem Fjord 


von Kristin Valla


Der Anfang: 

Quickton gibt es nur in den Ländern des Nordens.

Vor mehreren Jahrtausenden, als auf dem Festland das Eis schmolz, wurden Sand und Ton vom Gletscherwasser mitgeschwemmt. Tonpartikel lagerten sich auf dem Meeresboden ab, und das Salz im Meer verband den Ton zu einer festen Masse.


Elin kehrt in ihr Elternhaus zurück, um es aufzulösen und zu verkaufen. Der Vater und ihre zwei Brüder verstarben bei einem Erdrutsch, als Elin noch ein Kind war. Auch die Mutter der Mode-Journalistin ist bereits zwei Jahre zuvor verstorben. Der Makler rät ihr, zu entrümpeln und ein paar Möbel zu entsorgen. Es gibt wertvolle Stücke aus aller Welt, die gut zu verkaufen sind – bzw. den Käufer interessieren könnten. Elin ist schon länger weg von zu Hause, hat keinen Bezug mehr zu diesem abgelegenen Ort. 


Eine distanzierte Familiengeschichte


Wenn die Leute den Erdrutsch beschrieben, sprachen sie über das Rauschen der Wassermassen, die gegen das Land schlugen, über das Kreischen der Leitplanke, die zerrissen wurde und nach unten kippte. Über Häuser, die von den Tonmassen auf dem Rücken getragen wurden, ehe sie mit dem Schornstein unter Wasser liegen blieben, die E6, die zerbrach und sich wie ein gewaltiger Schlund aufbäumte, ehe sie ins Wasser fiel. Die Bremsgeräusche des schwarzen Autos, das aus dem Tunnel gefahren kam und einen Moment lang in der Luft schwebte, ehe es in die Wellen stürzte und versank.


Eine Familiengeschichte mit Trauerbewältigung; unaufgeregt zieht sich die Story dahin. Fjord – das klingt nach Landschaft. Die kommt in diesem Roman kaum vor. Elin ist Mitte 30 und arbeitet als Journalistin für ein Modejournal in Oslo, Alles dreht sich hier um Elins Mutter, den Vater und um sie selbst. Während ihres Aufenthalts trifft sie auf Ola, den besten Freund ihres verstorbenen Bruders, in den sie mal verliebt war. Das Verhältnis ist krampfhaft distanziert, doch ganz plötzlich (für mich nicht ganz nachvollziehbar) beginnen beide eine Bettgeschichte, aus der auch ganz plötzlich eine feste Beziehung entsteht. Das alles wirkt so lieblos, distanziert, emotionslos.


So manche Überraschung tut sich auf.

Beim Aufräumen findet Elin den Kalender ihres Vaters, in dem ab Juni des Todesjahres kein einziger Termin mehr eingetragen ist. Klar, er war längst verstorben, aber Geschäftstermine werden weit im voraus geplant. Irgendwas hätte hier stehen müssen. Auch haben die Eltern das Haus kurz vor dem Tod des Vaters schätzen lassen, meinte der Makler. Wozu? Wollten sie umziehen? Davon war damals nie die Rede gewesen. Neugierig geworden, recherchiert Elin im Leben ihrer Eltern – vor der Geburt der Kinder. Und so manche Überraschung tut sich auf. Was mich ärgert, ist der Klappentext! Hier gibt es einen Hinweis, den ich interessant fand, mich für das Buch interessierte. Das Ereignis wird auf den allerletzten Seiten präsentiert! Das ist Verrat am Leser! Das Ende des Romans im Klappentext bereits erwähnt! Der Leser weiß nach einem Drittel, wie es ausgeht, was passiert – weil es im Klappentext bereits erklärt wird. Schade! 


Mir fehlte die Seele im gesamten Roman

Nach einem guten Anfang ließ der Roman für mich immer weiter nach, der Erdrutsch endete auf der letzten Seite. Die Charaktere gingen leider an mir vorbei. Diese Paarbeziehung konnte ich nicht nachvollziehen, völlig leidenschaftslos. Ein Kalender liegt nach etwa 30 Jahren noch auf dem Schreibtisch? Eine Mutter, die ständig am Shoppen ist, nur das Feinste aus aller Welt kauft, nach Paris und London zum Kleiderkauf fährt ... Hat der Ehemann in dieser Position so viel verdient? – Eher unwahrscheinlich. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter nach dem Tod des Vaters bleibt offen. Und wovon hat die Mutter als Witwe gelebt, die so viel spendete? Groß kann das Kapital ja nicht gewesen sein, wenn die Eltern für das andere Haus einen Kredit aufnehmen musste, den die Mutter ja auch abbezahlte. Ich will nicht zu viel verraten, aber die gesamte Geschichte verbarg für mich zu viele Ungereimtheiten, manches war für mich weder logisch, noch emotional nachvollziehbar. Elin ist ein distanzierter Charakter, auch zu sich selbst. Die Beziehung zu Ola scheint sogar kalt, zumindest egal. Alles passiert irgendwie und dann ist es eben so. Kein Resümee, kein Brennen für irgendetwas. Für mich fehlte dem Buch jegliche Atmosphäre. Fjord, Paris, Provence – das alles hätte auch in Essen, Berlin und Wanne-Eickel handeln können. Selbst den Figuren fehlte die Seele! Nett erzählte Familiengeschichte, keine Frage. Und es gibt einige Wendungen. Aber genau die warfen eher Fragen bei mir auf. Gut zu lesen – aber wir beide waren nicht füreinander geschaffen. 


Kristin Valla, aufgewachsen im norwegischen Nordland, ist Autorin, Journalistin und Lektorin und schreibt u.a. für das Dagbladet Magasinet und das Kulturmagazin K der Zeitung Aftenposten. Ihr Romandebüt Muskat erschien im Jahr 2000 und wurde in sieben Sprachen übersetzt. «Das Haus über dem Fjord» ist ihr dritter Roman.



Kristin Valla
Das Haus über dem Fjord
Originaltitel: Ut av det blå im Kagge Forlag
Aus dem Norwegischen übersetzt von Gabriele Haefs
Zeitgenössischer Roman, Familiengeschichte, Norwegische Literatur
Hardcover mit Schutzumschlag, 320 Seiten
Mare Verlag, 2022




Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Roman

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor. ...

Rezension - O du schreckliche: Ein garstiger Weihnachtskanon

  Kurzgeschichten herausgegeben von Felix Jácob Felix Jácob liebt Weihnachten und fürchtet es zugleich. Im Kreis seiner großen Familie wird an den Feiertagen zelebriert, beschenkt – und lautstark gestritten. Als passionierter Leser, studierter Philologe und langjähriger Büchermacher in europäischen Verlagen sammelt er seit Jahren die schönsten und bösesten Geschichten zum Fest. Wer spricht davon, Weihnachten zu feiern? Überstehen ist alles! Garstige, schräge Weihnachtsgeschichten für Lesende, die schwarzen Humor lieben. Weiter zur Rezension:     O du schreckliche: Ein garstiger Weihnachtskanon

Rezension - Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

  Rezepte, die du lieben wirst Der Israeli Yotam Ottolenghi hat zusammen mit seinem dreiköpfigen Küchenteam das nächste Kochbuch entwickelt. Das Team widmet sich dem Comfort Food und liefert inspirierende Gerichte, die nach Zuhause und Geborgenheit schmecken. Aber auch nach Kindheitserinnerungen und Reiseeindrücken. Comfort Food bedeutet für jeden etwas anderes, auf jeden Fall etwas wie Geborgenheit und Wohlfühlgefühl: ein Gefühl von Nostalgie, aber auch Vertrautheit. So sind über 100 Rezepte entstanden, von der Bolognese (mit asiatischen Gewürzen) bis zu Eier-Gerichten, von der One-Pot-Pasta bis zum Apfelkuchen. Rezepte, die zugleich originell aber auch vertraut und bewährt sind. Und immer mit dem gewissen Ottolenghi-Twist. Weiter zur Rezension:    Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

Rezension - L’Osteria Grande Amore von L’Osteria und Diana Binder

  Die Geheimnisse unserer Küche L’Osteria Grande Amore – das erste Restaurant eröffnete 1999 in Nürnberg. Systemgastronomie – heute hat die Kette gut 200 Restaurants in neun Ländern mit rund 8.000 Beschäftigten. Seitdem hat sich das Ursprungskonzept mehr als bewährt: Frische italienische Küche, lässiges Ambiente, Pizze, die über den Tellerrand hinausragen und Systemgastronomie, die schmeckt. Im Buch sind in der Einführung einige Fotos zu den Lokalitäten enthalten. Und dann geht es los zu den Rezepten aus L’Osteria Grande. Neues Rezepte zu Pasta und Pizza! Empfehlung! Weiter zur Rezension:    L’Osteria Grande Amore von L’Osteria und Diana Binder

Rezension - Der Schneeflockensammler von Robert Schneider und Linda Wolfsgruber

  Eine wunderschön poetisch geschriebene Geschichte über einen verträumten Jungen, der viel Zeit mit Nachdenken verbringt und fasziniert ist von den kleinen Dingen der Welt im Lauf der Jahreszeiten: den Eigenheiten der Blätter, der Steine und der Schneekristalle, die ihn besonders begeistern. Immer wieder entrückt Wilson Bently bei der Arbeit, beschäftigt sich mit den Details der Natur. Schau dir das Ulmenblatt an, es hat die gleiche Form wie der Baum, in der Mitte der Stamm, die Verästelung der Blattadern, wie ein kleiner Baum. Schneekristalle begeistern ihn. Wilson Bently ist eine reale Person – es ist eine Biografie. Linda Wolfsgruber taucht die Erzählung in winterliches Blau-Weiß ein, Grafiken, die sich in die Tonalität von Robert Schneider einpassen. Empfehlung! Bilderbuch ab 5 Jahren. Weiter zur Rezension:    Der Schneeflockensammler von Robert Schneider und Linda Wolfsgruber

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Gemüsekisten-Kochbuch von Stefanie Hiekmann

  Saisonal kochen das ganze Jahr. 100 Rezepte, über 300 Varianten Gemüse satt - das ganze Jahr, möglichst regional! Mit über 100 alltagstauglichen Gemüserezepten und unzähligen Tausch-Optionen begeistert dieses Kochbuch nicht nur Gemüsekisten-Fans. Die Kapitel sind nach Monaten aufgeteilt, die Saisongemüse aufgezählt. Ob knusprige Rösti aus Kartoffeln und schwarzem Rettich, gebratener Rhabarber mit Ziegenkäse oder Wirsing-Pasta mit Nussbröseln. Stefanie Hiekmann zeigt, wie man das Beste aus seiner Gemüsekiste herausholt, alles verwertet und saisonale Schätze haltbar macht. Einfach, nachhaltig, gesund und lecker! Die Rezepte sind einfach, also für Anfänger optimal, für den versierten Koch voller Anregungen. Absolute Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Das Gemüsekisten-Kochbuch von Stefanie Hiekmann

Rezension - Ambivalenz von Amélie Nothomb

  Eben noch war Claude mit Reine im Bett. Beim Anziehen erklärt sie, sie würde ihn für den erfolgreicheren Jean-Louis verlassen; eiskalt sie offeriert ihm, der habe mehr zu bieten. Claude schwört, sich an Reine zu rächen. Claude heiratet Dominique; Frau und Tochter interessieren ihn nicht, er hat andere Pläne. In Zeitraffern und Extrakten teilt der Leser das Leben der Familie – hier geht es um Liebe, Rache und Vergeltung auf mehreren Ebenen, die radikale Bloßstellung menschlicher Ruchlosigkeit. Feiner kurzer Roman! Weiter zur Rezension:    Ambivalenz von Amélie Nothomb

Rezension - Mein bester bester Freund von Olivier Tallec

  Das Eichhörnchen hat schon lange nach einem besten Freund gesucht. Einen besten Freund findet man schließlich nicht alle Tage. Eines Tages trifft es auf Pok den Steinpilz – und Pok ist wunderbar! Genau wie ein bester Freund sein muss! Mit Pok werden selbst unschöne Momente irgendwie schön, mit ihm kann man den fallenden Blättern nachträumen und sich an den ersten Schneeflocken erfreuen. Und dann ist da plötzlich Momo … Das Geheimnis, worin echte Freundschaft besteht – ein wunderschönes Bilderbuch ab 4 Jahren! Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Mein bester bester Freund von Olivier Tallec