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Brust von Anja Zimmermann - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





Brust 


von Anja Zimmermann

Geschichte eines politischen Körperteils


Obwohl als «sekundäres Geschlechtsmerkmal» bezeichnet, ist die weibliche Brust von primärem Interesse. Sie nährt, aber verführt auch, gilt als heilig oder verderbt - je nach Zeitalter und Kulturkreis, Kontext und Blickrichtung. Schaut man sich die Bedeutung an und vergleicht, wird der männliche Anspruch auf Kontrolle über den weiblichen Körper in vielfältiger Weise augenfällig. Frauenbrüste sind bis heute ein Politikum, wenn sie abseits von Sauna und FKK-Strand öffentlich gezeigt werden, und selbst ihre «haltlose» Sichtbarkeit unter der Kleidung wird als unziemliche Provokation empfunden, wo hingegen der Mann mit nacktem Oberkörper kein Aufsehen erregt. 


Der Busen durch die Zeiten


Die Frau und der Mann ziehen beide ihr Oberteil aus und sonnen sich mit nacktem Oberkörper. Doch nach kurzer Zeit fordern Sicherheitskräfte die Frau auf, ihren Busen zu bedecken. Der Park sei schließlich kein FKK-Bereich. Sie weigert sich, die Polizei wird gerufen, die kleine Gruppe verlässt mit den verängstigten Kindern den Park. So geschehen im Sommer 2021 im Berlin. Doch die Frau, der das Entblößen ihres Oberkörpers verboten wurde, die Architektin Gabrielle Lebreton, wollte sich mit dieser Ungleichbehandlung nicht abfinden und klagte vor dem Berliner Landgericht auf Schadensersatz.

Anja Zimmermann untersucht diesen vieldeutig-vielseitigen Körperteil aus verschiedenen Perspektiven, aber immer mit politischer Fragestellung. Wer darf seine Brust zeigen? Die Klage der Architektin Gabrielle Lebreton wurde in erster Instanz mit der aberwitzigen Begründung abgewiesen, «eine Diskriminierung sei nicht zu erkennen». Immerhin änderte Berlin die Nutzungsordnung des Wasserspielplatzes, so dass nun jede:r mit unbekleidetem Oberkörper sich dort aufhalten darf, wie es auch auf den Münchner Isarwiesen Usus ist. Es gab auch Klagen gegen Schwimmbäder, die das Obenohnebaden den Frauen verboten hatten. So unsere heutige Auffassung. Die weibliche Brust stand stets im Focus der Aufmerksamkeit. Anja Zimmermann beleuchtet den Busen durch die Zeiten, Steinzeit, Antike, Mittelalter bis in die heutige Zeit. Das Korsett quetschte die Brüste flach, um sie «nahezu unsichtbar werden zu lassen». Später wurden die Brüste durch das Korsett noch oben geschoben, «um den Eindruck von Jugendlichkeit zu erwecken und zugleich seinen oberen Teil über den Rand des Dekolletés zu schieben und so teilweise sichtbar werden zu lassen.» Die Autorin schreibt, dass die Venus von der Antike bis heute die ideale Weiblichkeit darstellt, den idealen Busen. «Der Busen wird zum Auslöser erotisierender und sexualisierender Blicke auf den Frauenkörper, weil es (meist) nicht erlaubt ist, die Vulva in der westlichen Kunst sehen zu lassen». Botticellis verdeckte seiner Venus die Vulva mit ihren langen Haaren, zeigt die unverdeckte Brust, die damit erotisch wird. 


Wackelnde Brüste beim Fußball - nicht vorstellbar


Die großen Brüste der steinzeitlichen Frauenfiguren wurden von den Betrachter;innen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als Zeichen für ›Nicht-Kunst‹ wahrgenommen. Auch deswegen werden diese Figuren bis heute in der Regel in naturhistorischen und nicht in Kunstmuseen gezeigt.


Die freie Brust als Schamlosigkeit! Auf der anderen Seite steht die Frauenbrust als die Lebensgebende, die Stillende. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Frauen immer weiter aus dem öffentlichen politischen Leben herausgedrängt, «nach der eine Ausdehnung der Menschenrechte auf die Frauen undenkbar erschien». Die Aufgabe der Frau wurde auf ihre biologischen Körperfunktionen reduziert. Die Huldigung der Brust, ihre Erotisierung; oft aggressiv, als Mittel des Protests eingesetzt; Brustaufbau nach Krebsoperationen, der Schönheitswahn mit Silikon-Brustvergrößerungen, bis hin zum Aufblasen im Sex Business – Anja Zimmermann nimmt sich akribisch alles vor. Bis in den Fußball spielt die Brust hinein: 1955 hat der Deutsche Fußball-Bund den Frauenfußball verboten, u.a. wegen der Busen. «Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.» Einen solchen Anblick wolle man den Menschen nicht antun. Nun stelle man sich vor, die Damen würden nun auch noch nach dem Spiel auf dem Feld die Trikots tauschen! Etwas, was die Frauen sich bis heute nicht trauen.


Ein ausführliches Sachbuch


Mittlerweile ist die operative Entfernung von Brustgewebe bei Männern ein Routineeingriff der modernen Schönheitschirurgie und rangiert unter den Top 3 der Behandlungswünsche von Männern. Während es bei Frauen aber darum geht, Weiblichkeit zu erhalten, wiederherzustellen oder zu optimieren, ist das Ziel der Brustveränderung bei Männern, weibliche Eigenschaften zu verhindern.


Gut strukturiert wird hier sehr ausführlich alles zum Thema weibliche Brust aufgearbeitet. In einer isländischen Sage aus dem 13. Jahrhundert greift eine Frau mit Hilfe ihrer Brust aktiv in einen Kampf ein, die Amazonen der griechischen Mythologie schneiden sich die Brüste ab. Es wurde behauptet, dass der berühmte Philosoph Adorno durch das sogenannte «Busenattentat» starb – ein tödlicher Herzinfarkt wenige Monate danach als Spätfolge. Was war passiert? Adorno hatte das besetzte Institut für Sozialforschung von der Polizei räumen lassen. In seinem Hörsaal waren Flugblätter verteilt worden, auf denen zu lesen war: «Adorno als Institution ist tot». Mit Vorlesungsbeginn umringten drei Frauen Adorno, entblößten ihre Brüste und bewarfen ihn mit Blumen. Ja, ja, und darum erlitt er später einen Herzinfarkt … BH-Verbrennungen in den USA durch Feministinnen, als «Symbol der Unterdrückung». Es geht um Kunst und Pornografie, um Moden und Geschlechternormen, um Mutterideal und Heteronormativität, um Body Positivity und Selbstbestimmung, Sexismus und Protest. Eine Betrachtung der Bilder und Bedeutungen weiblicher Büsten, und tatsächlich: eine Befreiung! Ein interessantes, wirklich sehr ausführliches Sachbuch! Empfehlung!


Anja Zimmermann, geboren 1968, ist habilitierte Kunsthistorikerin. Sie lehrte als Heisenbergstipendiatin der DFG und als Vertretungsprofessorin unter anderem an den Universitäten Hamburg, Oldenburg, München und Zürich und ist Mitherausgeberin von 'FKW', der einzigen deutschsprachigen Zeitschrift zu Geschlechterforschung und visueller Kultur. Sie lebt mit ihrer Familie südlich von Frankfurt am Main.




Anja Zimmermann
Brust. Geschichte eines politischen Körperteils
Sachbuch, Busen, Brüste
Hardcover, 272 Seiten
Klaus Wagenbach Verlag, 2023






Sachbücher

Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.
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