Direkt zum Hauptbereich

Zucker von James Walvin - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Zucker 


von James Walvin

Eine Geschichte über Macht und Versuchung


In vielerlei Hinsicht war Zucker schon seit Jahrhunderten schlecht; er war schlecht für die Arbeitskräfte (Sklaven und Vertragsarbeiter), und er war schlecht für die Ökologie der Zuckeranbaugebiete. Nun erfahren wir, dass Zucker weltweit die Hauptursache für wachsende Gesundheitsprobleme darstellt. Dennoch wird Zucker von immer mehr Menschen in gewaltigen Mengen konsumiert.


Zucker ist weit problematischer, als die Werbetafeln der Softdrink-Hersteller vermuten lassen - und das nicht nur wegen der gesundheitlichen Probleme, die sein übermäßiger Konsum hervorruft. Dieses Sachbuch fasst die Kulturgeschichte des Zuckes zusammen, die mit der Entdeckung neuer Welten begann. Der erste Zucker war Königen und Fürsten vorbehalten, doch parallel zum Zuckerrohr wurde Tee, Kaffee und Kakao entdeckt, die zunächst einmal der besseren Gesellschaft vorbehalten waren – gesüßt  mit Zucker. Der erfolgreiche Zucker dürstete nach Anbaugebieten, und machten sich findige Händler daran, neue Anbaugebiete zu finden – weltweit. Die Kanaren und Azoren waren schnell abgehakt, die Karibik und Südamerika eigneten sich bestens. Die einheimische Bevölkerung hatten die Eroberer fast ausgetilgt, durch die Einschleppung von europäischen Krankheiten oder durch Abschlachten. Man brauchte widerstandsfähige Arbeitskräfte. So wurden im Laufe der Zeit etwa zwölf Millionen Afrikaner als Sklaven nach Amerika verschifft. Ein großer Teil landete in Brasilien, etwa eine Million allein auf Kuba.


Zucker eignete sich zur Konservierung

Die ursprünglichen Regenwälder, die den ersten Siedlern undurchdringlich vorgekommen waren, verschwanden nach und nach fast vollständig und wurden durch Zuckerrohrfelder ersetzt, die nun die Landschaft dominierten.


Auf Jamaika gab es im Jahr 1760 bereits 57 Zuckermühlen, 1739 bereits 419, da durch Brandrodung immer mehr Zuckerrohr angebaut wurde. Bis 1700 waren über 95.000 Sklaven auf der Insel angekommen, es wurden über 800.000, Menschen die unter harter Knute eine beschwerliche Arbeit verrichten mussten. Die Beliebtheit des Zuckers wuchs, nicht nur, weil das Süße beliebt war, in Frankreich nun das Dessert erfunden wurde – Zucker eignete sich zur Konservierung. Zucker wurde über die Apotheken vertrieben. Kandiertes Obst oder in Sirup eingelegt, die Marmelade wurde entwickelt später mit Erfindung der Einweckgläser und Konserven tat sich ein weiteres Feld auf. Gesüßter Tee, Brot und Marmelade wurde zu in Großbritannien zum Armenessen. 


Lohnsklaven ersetzten Sklaven

Die Geschichte der Entwicklung der Einkaufsmöglichkeiten über Märkte und fahrende Händler zum kleinen Laden, bis hin zum Supermarkt, die industrielle Entwicklung der Zuckerproduktion, der Einfluss auf die Produktion durch Abschaffung der Sklaverei und Kriege, wird in diesem Buch anschaulich dargestellt. Napoleon hat mit Weitsichtigkeit den Wert der Zuckerrübe erkannt, gab eine Forschung in Auftrag, um sich von den Kolonien unabhängiger zu machen. Den Zuckerbaronen fehlten zwar die Sklaven, aber sie ersannen sich bald neue Methoden, um billig zu produzieren und Menschen zu knechten: die Lohnsklaven. Mancherorts brach der Markt ein, wie auf Jamaika, wo man die Zuckerbarone aus dem Land jagte. Anderenorts gingen Inder in die Vertragsknechtschaft bei Dumpinglohn, übelsten Wohn- und Hygienebedingungen in Sammelunterkünften: 


Ein medizinisches Problem! 

Bis 1924 hatte europäische Kolonialmächte unter Führung der Briten fast 1,5 Millionen Inderinnen und Inder als Vertragsknechte in alte Zuckerkolonien und einige neue Siedlungen verfrachtet. Mehr als 250.000 Inder gingen nach Britisch-Guayana und knapp 150.000 nach Trinidad.


Auch Südafrika wurde als Zuckerrohrland entdeckt und mit Indern versorgt. Die USA bediente sich auf gleiche Weise für Hawaii und Florida mit Japanern, Philippinos und Chinesen. Die Billiglöhner sorgten natürlich in den entsprechenden Ländern für Unmut und es kam zu ethnischen Konflikten. Die Geschichte des Zuckes ist gleichzeitig die Geschichte des Kolonialismus und des Wohlstands der westlichen Gesellschaft. Es ist aber auch die Medizinhistorie eines schädlichen Lebensmittels. Es gab Zeiten, da war unser Trinkwasser nicht besonders sauber und man trank dünnes Bier und Wein. Die Arbeit war schwer – und hier spielt der Rum mit herein, ein Nebenprodukt des Zuckerrohrs. Überall floss der Alkohol. Ein medizinisches Problem! Und so subventionierte die US-Regierung alkoholfreie Sprudelgetränke, die Cola war erfunden. Fastfood, Zucker im Fastfood – Zucker ein Problem. Aber das hatte man eigentlich bereits lange Zeit zuvor bei dem Briten erkannt: Marmelade und süßer Tee wirkte sich auf die Zahngesundheit der Bevölkerung aus. Heute wissen wir wesentlich mehr über Zucker in der Nahrung und unseren Heißhunger auf Süßes. Mit dieser Kulturgeschichte gibt es gleichzeitig einen tiefen Einblick in die Kolonialzeit – die ja noch nie beendet wurde und durch die Chinesen wieder aufblüht.


Zucker - eine Kulturgeschichte

Ein gutes Sachbuch, das den Zucker aus allen Seiten beleuchtet. James Walvin beschreibt die Vergangenheit und präsentiert damit eine Geschichte von Macht und Versuchung, von Sklaverei und Umweltproblemen, aber auch von Zivilisationskrankheiten wie Adipositas und Karies. Kulturgeschichte, die nicht nur den Zucker betrifft. Spannend zu lesen, auch wenn der Sprachstil etwas trocken ist.


James Walvin ist emeritierter Professor an der University of York. Er ist Autor zahlreicher Bücher, die sich meist mit der Geschichte der Sklaverei und des Sklavenhandels auseinandersetzen. Mit seinem Buch »Black and White« gewann er den Martin Luther King Memorial Prize.


James Walvin 
Zucker
Eine Geschichte über Macht und Versuchung
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Sonja Schuhmacher, Claus Varrelmann
Sachbuch, Kulturgeschichte, Kolonialzeit, Ernährung, Kulinarisches
Hardcover, 336 Seiten
oekom Verlag, 2020


Sachbücher

Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.
Sachbücher


Kulinarische Bücher 

Kochbücher, Backbücher und alles rund um Lebensmittel findet sich kompakt auf dieser Seite. Auch Genussromane, soweit ich welche lese. Schleckermäulchen also hierher klicken:


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Flusslinien von Katharina Hagena

  Gesprochen von Ruth Reinecke, Chantal Busse, Julia Nachtmann, Jesse Grimm Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 11 Std. und 15 Min. Margrit Raven ist hundertzwei und wartet auf den Tod. Früher war sie Stimmbildnerin , jetzt lebt sie in einer Seniorenresidenz an der Elbe . Die Erinnerungen und Ausflüge in einen Park halten Margrit am Leben - und die Besuche ihrer zornigen Enkelin Luzie, die sich kurz vor dem Abitur von der Schule abgemeldet hat. Sie übernachtet nun allein in einer Hütte für Sportler an der Elbe, will Tätowiererin werden. Und dann ist da noch Arthur. Wenn er gerade niemanden zur Dialyse fährt, sucht er mit einer Metallsonde den Strand der Elbe ab, erfindet Sprachen, kämpft für gefährdete Arten und ringt mit einer Schuld. Zu viel hier und da gefischt, irgendwie zusammengekocht, ein Einheitsbrei, bei dem mir die Tiefe zu einem Thema fehlte. Sprachlich gut, das haut es raus – aber alles zu weit ausgewalzt. Weiter zur Rezension:    Flusslinien von Katharina Hag...

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm