Rezension
von Sabine Ibing
WOHL BEKAM’S
von Tobias Roth und Moritz Rauchhaus
In hundert Menüs durch die Weltgeschichte
1951 gräbt der britische Archäologe Max Mallowan die Beschreibung eines Festes aus, das über 2800 Jahre zuvor gefeiert wird. Es ist die Einweihung des Palastes von Nimrud, niedergelegt auf einer 1,28 Meter hohen Sandsteinstele durch den Gastgeber, den assyrischen König Assurnasirpal II. ... Die Inschrift schließt: ›Ich gab ihnen 10 Tage lang Nahrung. Ich gab ihnen zu trinken, badete sie und salbte sie. So erwies ich ihnen die Ehre und schicke sie dann zurück in ihre Länder in Frieden und Freude.‹
Was kam zur Hochzeit Napoleon Bonapartes 1810 auf den Tisch? Was gab es bei einem Festmahl der Schneidergilde Londons 1430? Vom mittelalterlichen Italien führt diese spezielle Anthologie über Astronautennahrung im Weltraum bis in die transatlantische Diplomatie unserer Tage. Bedeutsame Anlässe – große Tafeln – sicher nicht ein Buch für jedermann, aber wer sich für Kulturgeschichte und Essen interessiert, dem wird es gefallen. Das Buch beginnt 879 v. Chr. in Nimrud, König Assurnasirpal II weiht eine neue Residenz ein, und es endet 2018 in München mit dem Hochzeitsmenü des Autors Tobias Roth. Was bot König Assurnasirpal II seinen Gästen nach dem gewonnen Krieg? Hier finden wir keine Menükarte, wie bei den folgenden Ereignissen, sondern eine buchhalterische Aufrechnung. »47.074 Männer und Frauen, die aus jedem Teil meines Landes kamen. ... Alles in allem waren es 69.574 Gäste unter Einschluss der aus allen Ländern Geladenen und der Menschen von Kalchu.« (Ich habe mir die Infos zur Ausgrabung angesehen – interessant) Die Köche hatten ordentlich zu tun. Dabei sind 100 Mastrinder, 1000 Schafe, 500 Hirsche, 1000 Wildenten, 1.000 Zugvögel, 10.000 Fische, sogar 10.00 Springmäuse in der Küche gelandet, um nur einige Tiere zu nennen. 10.000 Eier, 10.000 Behälter Kichererbsen und Sesam, 100 Körbe Granatäpfel, 100 Krüge Butter aus Büffelmilch und 100 Behälter Kunipbu (nicht einmal Google weiß, was das ist), Honig, Milch, Getreide und Giddu, Tiyatu Pflanzen – was auch immer das wieder ist – und einiges mehr steht auf der Liste.
Staatsbesuch in der DDR - Was wurde Castro aufgetischt?
Fiedel Castro servierte man in der DDR Nordhäuser Doppelkorn bereits zur Vorspeise. Na, wie der seinen Rum vermisst haben mag. Immerhin gab es Lachs mit Kaviar und Spargel, gefolgt von Geflügelrahmcreme, danach eine Pastete mit feinsten Ragout – dazu Radeberger Pis oder Grauer Mönch aus Ungarn. Zum Hauptmenü servierte man gespicktes Kalbsfrikandeau in Rahmsoße mit Edelgemüse und Petersilienkartoffeln, dazu ein Pinot noir aus Ungarn. Kalbskeule, aber was wohl mit Edelgemüse gemeint war? – interessant die französische Sprache des dekadenten Westens. Zum Dessert wurde Weingelée mit Früchten aufgetischt, dazu ein Rotkäppchen Sekt. Zum Abschluss gab es zu Windbeuteln mit Mandelsahne Mokka und Weinbrand. Ob es Fidel geschmeckt hat, mag ich bezweifeln.Ungesundes, Peinliches, Kurioses
Das päpstliche Frühstück zur Feier des Markustags 1468 klingt nicht sehr gesund. Papst Paul II war ein Süßer: Konfekt, Mandeln, Zuckerwaffeln Nebula, Süßigkeiten aus Pinienkernen mit Blattgold überzogen, Ravioli mit Marzipanfüllung. Victor Hugo feierte 1872 ein Theaterjubiläum in Paris: Suppe vom Wurzelgemüse, Bisque, Krabben, Regenbogenforelle, Hammelkeule, Blutente, Ortolan, Sorbet aus Kirschwasser.Zu jedem dieser Menüs gibt eine kleine Geschichte: Anlass, Gäste, Anekdoten. Interessant liest sich das Sparmenü von Marie-Antoinette, als das Volk von Paris hungerte. Ich nehme nur den Schluss: 16 Nachspeisen. Durchlesen und man versteht, warum die verschwenderische Königin zu diesen Zeiten geköpft wurde. Die Deutschen belagerten 1870 Paris. Ein gutes Weihnachtsessen war daher schwer zu organisieren. Im zoolisch-botanischen Garten gab es dennoch ein Festmenü im Café Voisin: Unter anderem Elefantensuppe, Katze auf einem Bett von Ratten, gebratenes Kamel, Wolfskeule. Wohl bekams!
Essen gehört zur Kultur und zum Zeitgeschehen
Ein interessantes Buch für Bibliophile und alle, die sich lesend mit Menüs durch die Weltgeschichte begeben möchten. Essen gehört zur Kultur und sagt etwas über das Zeitgeschehen aus, über den Zeitgeist. Jede Seite in den Ecken mit kleinen passenden Grafiken verziert. Das gibt dem Ganzen den optischen Drive. Viel Spaß!Tobias Roth und Moritz Rauchhaus sind Autoren, Übersetzer und Philologen. Sie erfüllen – nach eigenen Angaben – das Klischee, dass ausgedehnte Forschungsaufenthalte in Italien gefräßig machen. Die Suche nach historischen Speiseplänen führte sie in die Archive großer Bibliotheken, aber auch in die entlegensten Winkel des Internets.
Tobias Roth und Moritz Rauchhaus
WOHL BEKAM’S
Fachbuch, gebunden, 336 Seiten
Verlag DAS KULTURELLE GEDÄCHTNIS
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