Rezension
von Sabine Ibing
Voll im Leben
von John Fante
Der Anfang: Es war ein großes Haus, weil wir Leute mit großen Plänen waren. Der erste Plan war schon Wirklichkeit, eine Rundung um die Mitte, ein Ding, das ständig in Bewegung war, sich krümmte und wand wie ein Schlangenknäul. In stillen Stunden legte ich mein Ohr auf diesen Hügel und hörte es wie eine Quelle sprudeln, gurgeln, saugen und plätschern.
Ein Mann soll ein Haus bauen, ein Kind zeugen und einen Baum pflanzen … oder so ähnlich. John Fante hat es geschafft, der junge Drehbuchautor hat genügend Aufträge, das Geld fließt und er hat eine wundervolle Frau Namens Joyce, die sein Kind unter dem Herzen trägt. Und nun hat er sich ein Haus gekauft, groß, geräumig, mitten in Los Angeles. Doch eine Schwangerschaft wirbelt die Hormone durcheinander. Joyce ist unglücklich in flachen Schuhen, sackähnlichen Kleidern, mit ihrer Haut, sie tauscht ihr Parfüm »Farn in der Dämmerung« gegen »Gayelord- Hauser-Kölnischwasser«, mutiert von der Atheistin zur frommen Katholikin, will sich taufen lassen. Und zu allem Unglück bricht in der Küche der Fußboden unter ihr weg. Termiten! Der Kostenvoranschlag der Handwerker ist unglaublich hoch. Papa muss her, überlegt Fante, der geniale Handwerker. Er macht sich auf, seine Eltern zu besuchen.
Hier ist es. Das, wovon ich geträumt habe.«
Er bückte sich und zog ein Büschel wilden Klatschmohn aus der Erde. Die Blumen kamen mit Wurzeln und allem heraus, die schwarze klebrige Erde umarmte die Wurzeln. Er zerdrückte die Wurzeln in der Faust, und die warme feuchte Erde nahm die Form seiner Hand an.
»Hier wächst alles. Pflanz einen Besenstiel und er wächst.«
Ich verstand den Sinn all dessen.
»Willst du es haben, Papa? Willst du das Land kaufen?«
»Nicht für mich«, grinste er und stampfte auf.
»Für das Baby. Hier wird er leben, der Junge. Genau hier.« Er stampfte noch einmal auf. »Davon träume ich. Du und Miss Joyce und der Kleine. Ich und Mama unten an der Straße. Viel Platz. Vier Hektar. Für dich. Für deine Kinder.« …
Was sollte ich diesem Mann sagen – meinem Papa? ... Konnte ich ihm erzählen, dass ich in einer chaotischen Perversion namens Los Angeles ein Haus gekauft hatte, direkt am Wilshire Boulevard, ein Stück Land, hundertfünfzig auf vierhundertfünfzig, voller Termiten? Hätte ich ihm das erzählt, die Erde hätte mich verschluckt und der Himmel mich zerquetscht.
Italien trifft Amerika - Tradition auf Moderne
Die Eltern waren aus Italiens Abruzzen eingewandert, »WOPs« – without papers. Aber sie hatten es geschafft, sich ein Stück Land mit einem Weinberg gekauft. Papa hat längst andere Pläne, Mama gibt gute Tipps, wie man es beeinflusst, damit das Baby auch ein Junge wird, z.B. Knoblauch in die Innentaschen der Jacken stecken. Wie soll John es anstellen, seinem Vater die Wahrheit zu sagen, dem patriarchalischen Sturkopf? Das Buch erschien 1952 – eine Wiederauflage eines damals erfolgreichen Romans. John Fante beherrscht das Schreiben! Gnadenlos zieht er seine Familie in seinen Büchern vorm Leser aus. Liebevoll und sarkastisch – erbarmungslos offen und ehrlich. Wundervoll komisch und wirklichkeitsnah. Alte italienische Tradition und Aberglaube trifft auf amerikanische Moderne. Allein die Reise nach LA ist köstlich: Papa fliegt nicht gern, drum wird mit der Bahn gefahren, mit Sack und Pack: die große Handwerkertasche, Unmengen an Eingemachtem, ein ganzer Käse und Rotwein – alles aus eigenem Anbau. Papa versteht es, sich sofort mit allen Leuten zu unterhalten … Zwei Welten treffen aufeinander, die alte und die neue Generation. Es gibt noch viele offene Rechnungen zwischen Sohn und Vater, die hier nur andeutungsweise in Spiel kommen – denn in diesem Fall braucht John den alten Nick.Quietschvergnügt, kein bisschen verstaubt
Es gibt andere Romane von Fante, da kommt der Vater nicht so gut weg. John Fante neu entdeckt – und er liest sich noch immer quietschvergnügt, kein bisschen verstaubt. Herrlicher Slapstick. pralle Emotion und geschliffene Formulierungen machen den Roman zum Erlebnis. John Fante legte seine Familiengeschichte in seinen Romanen brutal offen – schön, dass der Maro Verlag ihnen Leben eingehaucht hat. Die gesamte Fante-Reihe ist pures Lesevergnügen!John Fante wurde 1909 als Sohn italienischer Einwanderer in Colorado geboren und ging Ende der zwanziger Jahre nach Kalifornien. Dort begann er unter schwierigen Bedingungen eine Karriere als Autor. John Fante ist in Deutschland noch immer ein Geheimtipp. Auch in den USA wurde er erst in hohem Alter zu den großen West-Coast-Schriftstellern wie Mailer, Fitzgerald und Chandler gezählt. Seine Beachtung stieg, nachdem Charles Bukowski ihn zu seinem »Gott« erklärte: »Hier endlich war ein Mann, der keine Angst vor Emotionen hatte. Mit überwältigender Schlichtheit vermischen sich Humor und Schmerz.« Der Durchbruch gelang ihm 1938 mit dem Roman »Ich – Arturo Bandini«; seinen Lebensunterhalt verdiente er jedoch zeit seines Lebens als Drehbuchschreiber für die Filmindustrie. Weshalb Fante in seiner Schaffenszeit weitgehend unbeachtet blieb, wird heute der damaligen Verlagswelt zugeschrieben. Seine Romane »Wait until Spring, Bandini«, »Ask the Dust« und »Dago Red« blieben zunächst Insider-Tipps, die von den großen Verlagen ignoriert wurden. Fante musste sich als Drehbuchautor in Hollywood durchschlagen. 1978 verlor Fante aufgrund von Diabetes seine Sehkraft; später mussten ihm beide Beine amputiert werden. Sein letztes Buch über seine ersten Tage in Los Angeles diktierte er seiner Ehefrau, bevor er 1983 in Malibu, Kalifornien, verstarb.
John Fante
Voll im Leben
Original von 1952: Full of Life
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Doris Engelke
Roman, 162 Seiten
MaroVerlag, 2018
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