Rezension
von Sabine Ibing
The Haven - Im Untergrund
von Simon Lelic
Der Anfang:
Ollie Turner schlief, als die Männer kamen. Sie waren schwarz gekleidet und trugen Skimasken. Bevor er begreifen konnte, was los war, zogen sie ihn aus dem Bett und zerrten ihn über den Teppich zum Treppenabsatz.
Action pur, in James Bond – Manier, ein spannender Jugendroman – eben Action – bitte nicht immer nach Logik fragen, wie es bei Herostorys so ist. Die ersten Sätze beschreiben die Entführung von Ollie Turner und seiner Adoptivmutter Nancy mitten in der Nacht. Nancy ist Polizistin – hinter was war sie her? Ollie kann entkommen und mit Hilfe von einem Jugendlichen namens Dodge flüchtet er durch die unterirdischen Kanäle von London. Doge bringt ihn in The Haven, eine geheime Zuflucht für Kinder, die in Not geraten sind, Straßenkinder, Flüchtlingskinder. Dieser Ort muss geheim gehalten werden und es gibt eine Menge technischer Raffinessen, um den Stützpunkt zu schützen. Die Kinder haben eine eigene Ordnung aufgebaut, den die Kids wollen versorgt und beschützt sein – wer 18 Jahre alt ist, muss The Haven verlassen, und diese gut ausgebildeten Erwachsenen unterstützen später finanziell die Organisation. Es gibt Unterricht in verschiedenen Disziplinen, altersgerecht, allerdings zugeschnitten auf den Schüler und nicht so langweilig wie in der Welt draußen, Technik und Selbstverteidigung stehen auf dem Lehrplan. Es gibt in London diverse Straßengangs. Im Prinzip lebt man in Frieden miteinander.
Sie leben im Geheimen
Im Wesentlichen helfen wir Kindern und Jugendlichen.›
‹Kindern? Was für Kindern?›
‹Kinder, die uns brauchen, die nirgendwo sonst hinkönnen.›
‹Wie … obdachlose Kinder, meinst du?›
‹Obdachlose. Flüchtlinge. Waisen. Kids, die es mit Banden zu tun bekommen. Die Enkelin der Queen, wenn sie unsere Hilfe bräuchte. Wir sind wirklich nicht wählerisch.›
‹Und was ist mit den Erwachsenen? Wo sind sie?›
Dodge grinste. ‹Das ist das Coolste an der ganzen Sache. Hier gibt es keine Erwachsenen.
Doch Gangchef Danny Hunter entführt einen Jugendlichen aus The Haven – denn sein Sohn wurde gekidnappt, und er vermutet, dass The Haven dahintersteckt. 24 Stunden haben sie Zeit, den Jungen zu finden – ansonsten stirbt der Gefangene. Auf der Spur nach dem Entführungsopfer gelangt die Haven-Truppe, unter der sich mehrerer Spezialisten befinden, wieder an den Anfang, nämlich zu den Leuten, die Ollis Adoptivmutter töteten.
Ein Pageturner für Jugendliche
Dieser Jugendroman will spannend unterhalten. Und wenn man sich auf pure Action konzentriert, bleibt es nicht aus, dass die Charaktertiefe hinten herunterfällt. Aber darum geht es ja nicht. Bei einem Blockbuster darf man auch nicht nach 100 Prozent Logik fragen. Macht beim Bond auch niemand, denn alles hält sich hier im Hero-Rahmen; die Aufteilung von Mädchen und Jungen hält sich in der Waage. Die technischen Raffinessen sind plausibel und gut aufgebaut. Unter dieser Prämisse ist der Roman gelungen. Der Autor schafft es, trotz aller Action, ein paar Verschnaufpausen einzulegen, Jugendliche kommen sich näher auf die ein oder andere Art und Weise. Es gibt ein Pärchen innerhalb der Gruppe. Spaß haben, Luft anhalten, bis man auf der letzten Seite angekommen ist. Wer das mag, ist hier genau richtig. Ich denke, das Buch hält auch Lesefaule an der Stange. Eine Message legt auch dahinter: Kinder leben auf der Straße – es gibt sie. Und wäre es nicht schön, wenn sie einen Haven hätten? Es geht auch um die Art der Unterrichtsformen, die diese Kinder an die moderne Welt angeknöpft haben: Learning bei doing – nicht auf dem Stuhl an Hand von Büchern. Ein Pageturner für Jugendliche, der Auftakt einer Serie. Und wem es gefallen hat, der zweite Band ist bereits erschienen und scheint dem ersten nicht nachzustehen. Der Loewe Verlag gibt eine Altersempfehlung von ab 12 Jahren. Hier meine Triggerwarnung: Ja, das kann passen, aber wer zartbesaitet ist, sollte lieber zwei Jahre warten, bis er sich an diese Reihe heranwagt und Ponybücher lesen.
Simon Lelic ist Krimi- und Thrillerautor. Für seine Thriller für Erwachsene wurde er bereits ausgezeichnet und stand mehrfach auf der Shortlist verschiedener Preise. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Brighton. Anders als seine Familie liest Simon leidenschaftlich gerne und besitzt außerdem einen schwarzen Gürtel in Karate.
The Haven - Im Untergrund
Jugendbuch, Spannungsliteratur
Aus dem Englischen übersetzt von Ann Lecker
Klappenbroschur mit Spotlack und Hochprägung, 304 Seiten
Altersempfehlung ab 12 Jahren
Loewe Verlag, 2020
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