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Sechzehn Pferde von Greg Buchanan - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Sechzehn Pferde 


von Greg Buchanan


Genau darin bestand das Problem, das war der Knackpunkt ihres Berufs. Wie rettet man ein Tier vor seinem Halter?


Das Problem der Werbetrommel, die etwas gigantisch Gutes anpreist, ist die Erwartungshaltung des Publikums. Man kann nun Versprechen einlösen oder enttäuschen. Letzteres war bei mir der Fall –  und vielleicht wäre das Buch nicht so bei mir nicht ganz so tief gefallen, wenn es nicht mit «So etwas haben Sie noch nie gelesen ... zutiefst beunruhigender Ritt» bereits auf dem Buchdeckel beworben wurde. Nun zum Inhalt: Sechzehn Pferdeköpfe, kreisförmig halb eingegraben werden auf einer Farm des sterbenden englischen Küstenorts Ilmarsh entdeckt, nur ein einziges Auge blickt in die Wintersonne. Detective Sergeant Alec Nichols übernimmt den Fall, die Veterinärforensikerin Dr. Cooper wird ihm zur Seite gestellt.


Erzähldistanz und Erzählhaltung sind auf ein Mega-Weitwinkel eingestellt


Eines Tages würde dieser Fahrer Alec ins Gesicht sehen. Eines Tages würde er an die Wochen zurückkehren, als er fern der Stadt Tiere in Holzkisten gesperrt hatte.


Die Kadaver in der Erde wurden mit einem Virus verseucht, aber bis das klar ist, sind wir in der Mitte des Romans angekommen. Die Infektion rafft einige Menschen hin, andere kämpfen im Krankenhaus ums Überleben. Alec Nichols gehört dazu. Wird er durchkommen? Cooper muss nun allein ermitteln. Zäh versuchen die, Ermittler, weiterzukommen; es gibt den Verdacht, dass andere Tiermisshandlungen dem gleichen Täter zuzuschreiben sind. Cooper und Alec treten auf der Stelle. Aber nicht nur deshalb kommt Langeweile auf. Es liegt daran, wie der Roman angelegt ist. Die Erzähldistanz und die Erzählhaltung sind auf ein Mega-Weitwinkel eingestellt. Der auktoriale Erzähler berichtet schroff, distanziert, dringt nicht tief in die Figuren ein, baut kaum Atmosphäre auf. Die Geschichte, die Figuren, berührten mich nicht. Auch der Trick, häufig in die Zukunft zu sehen: Das wird später mal sein ..., die er allwissende Erzähler gern einwirft, machte mich nicht neugierig. Ich weiß auch nicht warum, aber ich hatte nie das Gefühl, mich in England zu befinden, ständig erwischte ich mich, in den USA zu gastieren. Ein absterbendes Kaff an der Küste Englands. Die meisten Einwohner leben von der Landwirtschaft, auch die gibt nicht mehr viel her. Wer noch nicht abgehauen ist, lebt von der Hand in den Mund oder ist hoch verschuldet. Greg Buchanan hat für mich versucht, einen bösen Thrill unter die Geschichte zu legen – das hat bei mir nicht funktioniert. Er arbeitet mit abgebrochenen Kapiteln, mit vielen Andeutungen – und nichts konnte mich neugierig machen, leider. Der Niedergang der Stadt: Alles ist modrig, alt und vergammelt – wie die Tierleichen; und einer hilft nach, mit einem Virus die Bevölkerung zu dezimieren – kaputte Typen versauern hier, eine dunkle, depressive Dunstglocke umhüllt die Stadt, zwei Ermittler, die selbst mehr oder weniger kaputt sind, der Verfall zieht sich wie eine Ader durch die Stadt, durch die Geschichte. Ein abgehängtes Kaff, ein abgehängtes Großbritannien, das klein geschrumpft ist, fast bis zur Bedeutungslosigkeit. Der Autor fischt hier und da seine klischeehaften Figuren ab, eine kleine Angel, mit der er nicht tief kommt. Er versucht am Ende mit der Hammer-Methode dem Leser zu erklären, warum seine Protagonisten gebrochen sind – brachial, unglaubwürdig – nach dem Motto: Upppps, ich muss ja noch aufzeigen, weshalb sie sie eine kaputte Seele haben. Da man sowieso zu keiner Figur eine Beziehung aufbaut, war es für mich egal.


Mich konnte der Krimi nicht packen

Langweilig sind die Nebenschauplätze, die rein gar nichts mit der Handlung zu tun haben, was mich genervt hat. Im letzten Drittel kommt endlich Spannung auf, aber ganz ehrlich, mich hat die Aufklärung auf den letzten Seiten nicht mehr interessiert. Letztendlich ein Krimi, bei dem sämtliche Ermittler auf einem Boot ohne Paddel sitzen, schlaflos mal hier und mal dort durch den Wind hingetrieben werden. Der Erzähler sitzt in einem Flugzeug und berichtet trocken, was er aus der Entfernung sieht, streut Randgeschichten ein, um den Leser nicht zu langweilen – aber genau das tun sie. Bis zur Mitte wollte ich mehrfach abbrechen – dann wurde es etwas besser, doch überzeugen konnte mich der Mysterykrimi nicht, es ist auch kein typischer Whodunnit – zu den Noirkrimis zähle ich ihn auf keinen Fall.  


Greg Buchanan wurde 1989 geboren und lebt in den Scottish Borders, Großbritannien. Er studierte Englisch an der University of Cambridge und promovierte am King’s College London über Identifikation und Ethik. Er ist Absolvent des Creative Writing der University of East Anglia und hat sich in der Gaming-Community einen Namen als Drehbuchautor für Videospiele gemacht. »Sechzehn Pferde« ist sein erster Roman.



Greg Buchanan 
Sechzehn Pferde
Originaltitel: Sixteen Horses 
Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens 
Krimi, Kriminalliteratur, Mysterykrimi, Whodunnit, Englische Literatur 
Hardcover mit Schutzumschlag, 448 Seiten
S. Fischer Verlag, 2022








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