Direkt zum Hauptbereich

Rezension - Mittagsstunde von Dörte Hansen

Rezension

von Sabine Ibing




Mittagsstunde 

von Dörte Hansen


Sprecher: Hannelore HogerUngekürztes Hörbuch, Spieldauer: 11 Std. und 31 Min.


Nordfriesisches Dorfleben

Es haben nicht alle Menschen den gleichen Geschmack, gerade bei der Kunst variiert er stark. Vielen Lesern ging dieser Roman ans Herz. Mich hat er eher gelangweilt. Heimatromane hat es in letzter Zeit viele gegeben, für meine Begriffe ziemlich gute. Mittagsstunde ist eine ganz nette Geschichte, grundsätzlich, etwas für gemütliche Unterhaltung. Aber mir plätschert die Erzählung zu breitgewalzt dahin, ohne irgendwo in die Tiefe zu gehen. Das Leben im nordfriesische Geestdorf Brinkebüll wird von heute rückblickend bis in die Nachkriegszeit betrachtet.

Seine Sorte Schaf schien gegen jeden Glauben imprägniert zu sein. Wind- und wetterdichtes Fell, nichts Frommes drang da durch. Alles Göttliche lief ab an ihrem Fell wie Wasser am Gefieder einer Gans. Sie glaubten ihm kein Wort.

Das Dorf im Wandel der Zeit

Es gibt ein paar schöne Sätze. Eigenwillige Dörfler, wie in jedem Dorf auf der Welt, skurrile Geschichten, die für mich aber leider nicht auserzählt werden. Wir haben einen Pastor, der um seine Schäfchen bangt, einen alten Lehrer, der damals seine Schüler mit Prügel züchtigte, uneheliche Kinder, fremdgehende Ehepartner. Eine Frau muss sich damit abfinden, dass ihr Mann aus dem Krieg zurückkehrt, wo sie doch den Ehemann bereits abgeschrieben hatte, für eine neue Liebe entflammte, eine der nicht auserzählten Episoden. Die Entwicklung eines blühenden Dorfs zum Verfall: Flurbegradigung, schützende Bäume und Hecken müssen weichen, kleine Acker werden zu großen Feldern zusammengefügt, damit große Maschinen darauf Platz haben zu drehen und zu wenden. Die Flurbereinigung, das große Übel, die Ursachenforschung und Auseinandersetzung fehlt. Kleine Höfe müssen großen landwirtschaftlichen Betrieben Platz machen, die Viehhaltung verändert sich. Das alles wird nebenbei erwähnt.

Es wird nur angedeutet mit breiten Worten

Nichts ist in Brinkebüll mehr, wie es einmal war. Oder was soll mir dieser Roman sagen? Früher war alles besser? Der Hauptprotagonist ist Ingwer Feddersen, einer aus dem Dorf. Er arbeitet als Archäologe und Prähistoriker in Kiel als Hochschullehrer, ist scheinbar mit Job, WG und Lebenspartnerin nicht glücklich, auch das wird nur angedeutet. Seine Großeltern Sönke und Ella führen die Dorfkneipe, der Angelpunkt des Örtchens.  Sie sind nun pflegebedürftig und Ingwer nimmt ein universitäres Sabbatjahr, kehrt nach Brinkebüll zurück, ihnen zur Seite zu stehen. Auch Marret, die Mutter von Ingwer (die »Verdrehte«, ein verhuschtes, leicht verrücktes Wesen), braucht Pflege. Ingwer hat sie früher für seine Schwester gehalten, einer der drei Messingenieure der Flurbereinigung hatte sie wohl geschwängert. Bis heute nennt er seine nun demente Großmutter, wie früher, Mudder. Großvater Sönke, der mit über 90 Jahren immer noch in seiner Dorfkneipe steht und Bier zapft, ist eigentlich zu schwach für die Arbeit. Heiko Ketelsen, nicht der Schlauste, bringt Leben in den Dorfkrug, veranstaltet Country-Line-Dance, dort, wo sonst nur uralte Schlager aus den 1960-Ern gespielt werden und alle mitsingen.

Früher nahm man die Leute einfach so, wie sie waren.

Mich konnte die Geschichte nicht packen


Menschen, wie es sie überall gibt, nur diese hier snacken Plattdütsch, Geschichten, die es überall gibt, Landflucht, die es überall gibt, der Verfall der Dörfer. Auch sprachlich ist mir das alles zu pathetisch, zu breitgewalzt, mit Bildern überdimensioniert. Sätze, die sprachlich berühren, im Kopf bleiben, das macht für mich einen Heimatroman aus, das fehlt mir hier. Ein Blick in die Tiefe der Gesellschaft fehlt mir, die Ursachenforschung. Mittagsstunde, früher wurde noch Mittagsschlaf gehalten, da hatte es still zu sein im Dorf. Heute überschattet das Dorf eine dauerhafte Stille. Für mich erzählt die Autorin an der Oberfläche, hier etwas lapidar berichtet, dort etwas angedeutet, das allerdings so lang und breit, breiig, dass ich mich gelangweilt habe. Früher ging es um die Menschen, heute um den Profit. Wirklich? Die Dorfkneipe war früher der Mittelpunkt des Dorfes, heute ist sie das Herzstück des Zerfalls, aber auch am Ende ein Neubeginn. Immer wenn ich dachte: Jetzt kommt etwas … nun wird etwas ausgepackt, waberte es weiter zur nächsten Episode. Brav erzählt, ohne Höhen und Tiefen - und das muss man Dörte Hansen lassen, es wird nie kitschig, immer mit einer Portion bitterbösem Humor anhängig - habe ich leider von diesem Roman nichts mitnehmen können, weder inhaltlich noch sprachlich. Einige Ereignisse hätten Sprengkraft gehabt, auserzählt.









Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

  Ein herrlich spaßiger, spannender Kinderkrimi! Mit Papa und seiner neuen Flamme in die Berge zum Wandern oder zu Oma Lore. Keine Frage! Bei der fetzigen Lore ist es immer lustig. Jetzt sitzt Pia aber seit über einer Stunde auf dem Bahnhof, ohne dass Oma sie abgeholt hat. Sehr seltsam. Omas Haus ist nicht weit entfernt; und so macht sich Pia mit ihrem Rollkoffer auf den Weg. Niemand öffnet die Tür! Durch ein offenes Fenster gelangt sie hinein. Doch Oma bleibt verschwunden. Die Detektivarbeit beginnt … Ein Pageturner, ein Kinderroman, eine waschechte Heldenreise, ein rasanter Abenteuerroman und nervenkitzelnder Kinderkrimi ab 8-10 Jahren. Unbedingt lesen!  Weiter zur Rezension:   Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

Die wichtigen deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchpreise 2021

  Deutscher Jugendbuchpreis 2021, Kinderbuchpreis 2021, Serafina (Illustration), Schweizer Jugendbuchpreis, Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis Wie heißt es so schön: Es ist geschafft! Natürlich gibt es eine Menge kleiner Preise für Kinder- und Jugendliteratur. Ich habe mir die wichtigsten deutschsprachigen herausgenommen: Drei nationale Preise, Deutschland, Österreich, Schweiz und den Preis für Illustration im Bilderbuch. Ich habe auch den neuen Kinderbuchpreis (eine Privatinitiative) mit hineingenommen, da er beachtenswert für Autoren und Verlage ist - und weil er in der Jury Kinder mit einbezieht. Deutscher Jugendliteraturpreis 2021 - Gewinner und Nominierte Die Preise der Kritiker- und Jugendjury sind mit je 10.000 Euro dotiert Sparte Bilderbuch  Gewinner: Sydney Smith  Unsichtbar in der großen Stadt Aus dem Englischen von Bernadette Ott Aladin Verlag Ab 4 Jahren Allein in der großen Stadt zu sein, ist manchmal unheimlich. Besonders, wenn man klein ist und alles um einen h

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz