Direkt zum Hauptbereich

Keiner Menschenseele kann man noch trauen von Flannery O´Connor - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Keiner Menschenseele kann man noch trauen 

von Flannery O´Connor


Kurzgeschichten

Flannery O´Connor war zu Lebzeiten eine bekannte Schriftstellerin in den USA. Sie starb mit 39 Jahren viel zu früh an einer Immunkrankheit. Wer kennt nicht das Amerika von Gwen Bristow, Lonnie Coleman und Margaret Mitchell, Südstaatler, aufrechte Menschen, harte Arbeiter, alle verfolgen den American Dream, wer hart arbeitet, der schafft es auch. Bei Flannery O´Connor findet man solche Menschen nicht, der Süden ist arm, trotz harter Arbeit und nett sind diese Protagonisten so gar nicht. Die Erzählungen stammen aus verschiedenen Kurzgeschichtenbänden aus den Jahren 1948 bis 1955 und Flannery O´Connor leuchtet den Süden aus einer ganz anderen Perspektive aus, als die oben genannten. Im Stil von T.C. Boyle – aber wesentlich bissiger. Im Nachwort finden wir auch eine Begründung, warum das N-Wort bei der Übersetzung stehenblieb – es war schon damals anstößig und genau so gemeint.

Wir haben beschlossen, das N-Wort in seiner ganzen Anstößigkeit im Text zu belassen, und zwar weil der Abscheu des Lesers vor diesem Wort ein wesentlicher Grund ist, warum O´Connor es überhaupt verwendet hat.

Groteske Geschichten über das ganz normale Amerika, Hillbillies mitten ins Leben geschaut, religiös und sittenstreng, rassistisch, dumme und dreiste Typen, Widerlinge auf der einen wie der anderen Seite. Menschen, die täglich um ihr Brot kämpfen, ein armes Amerika. Was nützt einem Haus und Hof, uralt, verrottet, wenn man trotzdem kaum einen Dollar in der Tasche hat, keine Zähne im Mund. Wir lernen Typen kennen, die mit der Werkzeugtasche übers Land gehen, Reparaturarbeiten für ein Bett und und eine Mahlzeit erledigen, verwahrloste Kinder, die von zu Hause wegrennen oder vor die Tür gesetzt werden, die allein durchkommen müssen, einige von ihnen sind extrem hinterhältig, niederträchtig, aber nicht nur die. Anständige Leute vom Land, gottesfürchtig, die wir aus anderen Romanen kennen, werden hier von ihrer durchtriebenen Seite gezeigt.

Hätte doch bloß jemand auf die Großmutter gehört

Der erste Satz: Die Großmutter wollte nicht nach Florida.

Aber auf alte Leute hört ja niemand. Ein Familienausflug endet im Desaster – böse, böse …

Kinder, die plötzlich vor einer Farm auftauchen, herumlungern, einer von ihnen hat zuvor hier gelebt und würde so gern wieder hier wohnen, reiten … Doch was sollen die Frauen, die allein auf der Farm wohnen, schon mit ihnen anfangen? Schon gar nichts haben die Rotzlöffel etwas bei den Pferden zu suchen …

Anständige Leute vom Land sind das Salz der Erde

Gewehr in der Hand, keine Zähne im Mund

Frauen, die allein mit ihren Kindern auf Farmen wohnen, ein Thema, das immer wieder auftaucht. Misstrauen gegenüber jedem, der vor der Tür steht, den man nicht kennt – Rassismus, Hass, gleichzeitig Naivität demjenigen gegenüber, den man meint zu kennen. Gewehr in der Hand, keine Zähne im Mund, der typische alternde Hillbilly.


Bei einer älteren Farmersfrau, die allein mit ihrer stummen Tochter zusammenlebt, klopft ein einarmiger Landstreicher an, offeriert Handwerkertätigkeiten. Was kann ein Einarmiger schon anstellen? Vor ihm braucht man keine Angst zu haben. Er stellt sich als geschickt an und für die Tochter sucht die Alte noch einen Ehemann. Der Einarmige heiratet die Tochter prompt, er ist nicht scharf auf das Geld oder das Haus der Alten, die auch kaum etwas gespart hat. Er führt die Tochter gleich nach der Hochzeit mit Mutters Oldtimer aus, dem guten Stück, lässt seine junge Frau 150 Kilometer weiter an einer Tankstelle sitzen.

›Es heißt, sie sind nicht da, wo sie geboren sind, und sie können nirgends hin. Wenn man dich von hier davonjagen würde und keiner wollt dich haben.‹
›Sieht aber so aus, als wären sie jetzt hier‹, sagte der alte Mann nachdenklich. ›Wenn sie jetzt hier sind, dann sind sie wo.‹

Rassistisch auf jeder Linie

Auf der einen Seite tun mir als Leser die Protagonisten meist leid, aber gleichzeitig sagt man sich oft: Es geschieht dir ganz recht! Die Farmerin, die sich über das faule N…-Pack beschwert, mit dem sie sich herumschlagen musste. Sie beschäftigt nun Polen, die dem Holocaust entflohen sind. Sie arbeiten zuverlässig und billiger, sollen mal ordentlich schuften, sollen froh sein, dass man sie überhaupt ins Land gelassen hat. Die Polen, tja, Europäer! Vorsicht!

Aber wo nun Ausländer auf der Farm waren, Leute, die ihre Augen überall hatten und nichts begriffen, die aus einem Land kamen, wo dauernd Krieg geführt wurde, wo die Religion nicht reformiert worden war - bei solchen Leuten musste man beständig aufpassen.

Früher war alles besser 

Erzählungen aus den 1950er-Jahren, die heute noch immer aktuell sind. Europa ist an allem schuld,
daran, dass es Amerika schlecht geht. Andererseits kann einem das primitive Europa auch leid tun. Und früher, da war alles besser. - Diese Worte könnten von heute sein. Bitterböse Geschichten, schwarzer Humor und Groteske. Viel Spaß beim Lesen. Das ist viel besser als Horror. Gut, dass Flannery O´Connors Geschichten noch einmal neu übersetzt wurden.

(Arche Verlag)


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor. ...

Rezension - O du schreckliche: Ein garstiger Weihnachtskanon

  Kurzgeschichten herausgegeben von Felix Jácob Felix Jácob liebt Weihnachten und fürchtet es zugleich. Im Kreis seiner großen Familie wird an den Feiertagen zelebriert, beschenkt – und lautstark gestritten. Als passionierter Leser, studierter Philologe und langjähriger Büchermacher in europäischen Verlagen sammelt er seit Jahren die schönsten und bösesten Geschichten zum Fest. Wer spricht davon, Weihnachten zu feiern? Überstehen ist alles! Garstige, schräge Weihnachtsgeschichten für Lesende, die schwarzen Humor lieben. Weiter zur Rezension:     O du schreckliche: Ein garstiger Weihnachtskanon

Rezension - Himbeereis am Fluss von Maria Parr

  Norwegen, in dem großen roten Haus auf einem Hügel wohnt Ida mit ihrer Familie. Und der fünfjährige Oskar behauptet, ein Monster würde im Kleiderschrank sitzen, erzählt uns die achtjährige Ida. Aber die ernähren sich bloß von Socken, beruhigt sie ihrem Bruder, der nicht glauben will, dass es keine Monster gibt. Wir begleiten die Geschwister ein Jahr lang, von Fluss-Safaris in der Frühlingssonne, ein verregneter Sommer, Einschulung, Hüttenbau und Halloween mit verlorenen Vampiren in der Herbstdunkelheit. Die elf Geschichten sind humorvoll, authentisch und es wird niemals langweilig. Witzig, spritzig, empathisch wird hier Kinderalltag, Familienalltag beschrieben. Empfehlung für das Kinderbuch ab 7 Jahren! Weiter zur Rezension:    Himbeereis am Fluss von Maria Parr

Rezension - Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

  Rezepte, die du lieben wirst Der Israeli Yotam Ottolenghi hat zusammen mit seinem dreiköpfigen Küchenteam das nächste Kochbuch entwickelt. Das Team widmet sich dem Comfort Food und liefert inspirierende Gerichte, die nach Zuhause und Geborgenheit schmecken. Aber auch nach Kindheitserinnerungen und Reiseeindrücken. Comfort Food bedeutet für jeden etwas anderes, auf jeden Fall etwas wie Geborgenheit und Wohlfühlgefühl: ein Gefühl von Nostalgie, aber auch Vertrautheit. So sind über 100 Rezepte entstanden, von der Bolognese (mit asiatischen Gewürzen) bis zu Eier-Gerichten, von der One-Pot-Pasta bis zum Apfelkuchen. Rezepte, die zugleich originell aber auch vertraut und bewährt sind. Und immer mit dem gewissen Ottolenghi-Twist. Weiter zur Rezension:    Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

Rezension - L’Osteria Grande Amore von L’Osteria und Diana Binder

  Die Geheimnisse unserer Küche L’Osteria Grande Amore – das erste Restaurant eröffnete 1999 in Nürnberg. Systemgastronomie – heute hat die Kette gut 200 Restaurants in neun Ländern mit rund 8.000 Beschäftigten. Seitdem hat sich das Ursprungskonzept mehr als bewährt: Frische italienische Küche, lässiges Ambiente, Pizze, die über den Tellerrand hinausragen und Systemgastronomie, die schmeckt. Im Buch sind in der Einführung einige Fotos zu den Lokalitäten enthalten. Und dann geht es los zu den Rezepten aus L’Osteria Grande. Neues Rezepte zu Pasta und Pizza! Empfehlung! Weiter zur Rezension:    L’Osteria Grande Amore von L’Osteria und Diana Binder

Rezension - Kind zu verschenken! von Hiroshi Ito

  Seit der kleine Bruder auf der Welt ist, kümmern sich die Eltern nur noch um ihn. Dabei sieht Daichi doch aus wie ein Äffchen und kann nichts weiter als schlafen, schreien und in die Windel machen. Der Schwester reicht es. Sie packt einen kleinen Rucksack und sagt Mama, dass sie geht, um sich eine neue Familie zu suchen. Mama sagt jaja und Tschüß – und im Hinausgehen, das Mädchen möge nicht vergessen zum Abendessen zurück zu sein. Ein Pappkarton wird beschriftet: «Kind zu verschenken», und sie setzt sich am Straßenrand hinein und wartet … Wundervolles Bilderbuch ab 6 Jahren über die Gefühle zu sprechen, wenn vom Thron des Einzelkinds gestoßen wird. Weiter zur Rezension:    Kind zu verschenken! von Hiroshi Ito

Rezension - Der Junge, der Katzen malte von Lafcadio Hearn und Anita Kreituses

  Ein Bilderbuch, in das man sich sofort beim ersten Durchblättern verliebt, ohne den Text gelesen zu haben. Und das liegt an den eindrucksvollen Illustrationen von Anita Kreituses. Es war einmal ein Junge, klug, klein und zierlich, der jüngste Sohn einer armen Bauernfamilie. Ständig malte er Katzen. Seine Eltern gaben ihn als Altardiener in den Tempel zur Ausbildung, weil sie meinten, der Junge sei für die schwere Hofarbeit nicht geeignet. Er war aufmerksam und fleißig, und er malte viel, aber immer nur Katzen und das überall. Dem Priester ging er damit auf die Nerven und er schickte ihn fort. Ein Kinderbuch, das jeden Katzen- und jeden Märchenfan begeistern wird. Japanische Kultur, japanischer Mythos – ein gelungenes Bilderbuch für die Abteilung Lieblingsbuch.  Weiter zur Rezension:    Der Junge, der Katzen malte von Lafcadio Hearn und Anita Kreituses

Rezension - Was ist Künstliche Intelligenz? von Angelika Zahn und Lena Hesse

  Wo sie uns im Alltag begegnet und wie sie funktioniert Was ist eigentlich künstliche Intelligenz? Sie ist ständig um uns herum, ohne, dass wir sie bemerken. Morgens weckt und der Wecker, den wir gestellt hatten, die programmierte Heizung ist bereits hochgewärmt, auf dem Smartphone sind E-Mail, Whatsapp usw. eingegangen, wir spielen unsere Playlist, während die Zahnputzapp das Zähneputzen begleitet und die Rollladen automatisch hochfahren. Das Smartphone erinnert, an die Hausaufgaben, die einzupacken sind usw. Big Data, Deep Learning, KI, Roboter, Chat, Halo-Effekt, AI, Chatbot, Sprachassistenz, Maschinelles Lernen, Computerprogramme, Neuronale Netze, Datenschutz, Programmieren, Internet verständlich für Kinder ab 8 Jahren erklärt, mit allen Vorteilen und Tücken. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Was ist Künstliche Intelligenz? von Angelika Zahn und Lena Hesse

Rezension - Das Gemüsekisten-Kochbuch von Stefanie Hiekmann

  Saisonal kochen das ganze Jahr. 100 Rezepte, über 300 Varianten Gemüse satt - das ganze Jahr, möglichst regional! Mit über 100 alltagstauglichen Gemüserezepten und unzähligen Tausch-Optionen begeistert dieses Kochbuch nicht nur Gemüsekisten-Fans. Die Kapitel sind nach Monaten aufgeteilt, die Saisongemüse aufgezählt. Ob knusprige Rösti aus Kartoffeln und schwarzem Rettich, gebratener Rhabarber mit Ziegenkäse oder Wirsing-Pasta mit Nussbröseln. Stefanie Hiekmann zeigt, wie man das Beste aus seiner Gemüsekiste herausholt, alles verwertet und saisonale Schätze haltbar macht. Einfach, nachhaltig, gesund und lecker! Die Rezepte sind einfach, also für Anfänger optimal, für den versierten Koch voller Anregungen. Absolute Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Das Gemüsekisten-Kochbuch von Stefanie Hiekmann

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada