Direkt zum Hauptbereich

Glückliches Ende von Isaac Rosa - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Glückliches Ende 


von Isaac Rosa


Der erste Satz: 

Wir wollten zusammen alt werden.


der Satz, der wie ein Mantra, mehrfach über die erste Seite schwingt. 

Liebe Leser, machen Sie es sich auf den Theatersitzen bequem:

Nach dreizehn Ehejahren stehen sie vor den Scherben ihrer Ehe, Ángela hat die Kisten durch ein Umzugsunternehmen auf die Reise gegeben, steht in einer leeren Wohnung, die voller sichtbarer «Lebensspuren» steckt: Kratzer hier und da, sie kann sich erinnern, wann jeder einzelne entstanden ist; Kinderkritzeleien an der Wand, Staubränder von Möbeln. Der zeitgenössische Roman hat ein glückliches Ende, denn er wird als Kammerspiel im Zwiegespräch rückwärts erzählt. Am Anfang gibt es harte Verletzungen, der Rückblick wird immer weicher – bis hin zum Kennenlernen, zur Entstehung einer Liebe. Risse in der Beziehung, Brüche. Wann hat es begonnen? Oder ist Liebe eine Illusion, der Bruch eine schleichende Erosion, die vorauszuahnen war, weil irgendwann alles abgenutzt ist?


Ein Kammerspiel

Der Roman ist in zwei Teile aufgeteilt. Es beginnt mit der Trennung, mit verletzenden Vorhaltungen, die typische Abrechnung bei einer Trennung. Die Figuren werden immer weicher, die Auseinandersetzung geht über in eine ernste Begegnung auf Augenhöhe, eine Analyse in intellektueller Form; sie schwelgen in Erinnerung an ihr gemeinsames Leben. In diesem Kammerspiel scheint es, als sei man als Leser zunächst an einem Briefwechsel beteiligt. Abwechselnd machen sich die Beteiligten in längeren Passagen Vorhaltungen, der andere widerspricht in langen Abschnitten. Je weiter wir zur Mitte und zum Ende kommen, umso enger rücken die beiden zusammen. Der Leser fühlt sich irgendwann als heimlicher Zuhörer eines Gesprächs. Es geht am Ende sogar so weit, dass sich das Paar gegenseitig angefangene Sätze beendet – sie klingen wie frisch Verliebte. Das ist dramaturgisch großartig gesetzt.


Diese ganzen Freiheiten können nur Menschen genießen, die sich eine gute Schule leisten können, eine vernünftige Krankenversicherung, ein Auslandsstudium, unbezahlte Praktika, die ihre Familie mit einem einzigen Gehalt ernähren können, für die jemand putzt und sich um die Alten und Kinder kümmert, die eine Geliebte haben, die sich scheiden lassen können, und wir, die wir uns soviel Freiheit nicht leisten können, sind die Gelackmeierten ...


Sich scheiden lassen muss man sich erst einmal leisten können

Aber das Abbild einer Familie ist auch gleichzeitig das Abbild einer Gesellschaft. Am Anfang der Ehe hatten sich das paar ein altes Haus auf dem Land gekauft, das sie Stück für Stück renovieren wollten, um irgendwann dort einzuziehen, zunächst ein Wochenendtraum, dann das eigene Häuschen. Ángela war in ständiger Planung – doch das alles blieb nur ein Traum mangels Finanzierung. Ángela ist eine verbeamtete Lehrerin in Elternzeit, die ihre zwei Töchter genießen will, sich um sie kümmern, was sie als bedürfnisorientierte Elternschaft bezeichnet. Sie steht im Konflikt mit der Schwiegermutter, die sich für eine Feministin hält, das lange Stillen ablehnt und meint, Frauen sollten ebenso wie Männer Karriere machen. Diese Frau wiederum begibt sich in die zweite Ehe mit einem absoluten Patriarchen – man muss sich absichern, er sei ein wenig schwierig, aber ein guter Mensch. Antonio steht unter Leistungsdruck, regelt sein Leben durch optimiertes Selbstmanagement. Früher einmal Ressortleiter einer Zeitung, muss der Journalist heute als Freiberufler um jeden Auftrag kämpfen, er muss die Familie ernähren, für den Sohn aus erster Ehe Unterhalt zahlen. Er schläft nur vier Stunden pro Nacht, doch das Geld reicht geradeso hin. Ziemlich spät realisiert er für sich, wie er unter Strom steht, Ángela sich entspannt um die Kinder kümmert. So stellt Antonio resigniert fest: «Liebe ist etwas für Leute, die sie sich leisten können.» Eine Situation fand ich auch prägnant für das heutige Spanien (Altersheime gibt es kaum): Als Antonios Mutter sich scheiden lässt, bekommt sie eine hübsche Summe vom Ehemann ausgezahlt, will das Geld den Kindern überlassen – z.B. für den Ausbau des Landhauses. Die Kinder lehnen ab mit der Begründung, die Mutter solle sparen, denn wahrscheinlich könne man sich später nicht um sie kümmern, weil man selbst arbeiten muss, wenn sie alt und gebrechlich sei. Sie brauche dann eine Pflegekraft, die wahrscheinlich die Kinder auch nicht werden finanzieren können. Wirtschaftskrise, Feminismus, die neuen Mütter, Kindererziehung, der Riss zwischen arm und reich, es gibt eine Menge gesellschaftlichen Stoff in dieser Geschichte. Auch sich scheiden lassen muss man sich erst einmal leisten können ...


Väter in winzigen Wohnungen, für die sie sich vor ihren Kindern schämen, oder die zu ihren Eltern in ihre einstigen Jugendzimmer zurückgekehrt sind, ... Geschiedene, die auf einem Campingplatz wohnen.


Ein Stoff, in dem sich letztendlich jeder wiederfinden kann

Antonio zieht zurück zu den Eltern, Ángela mit beiden Mädchen in eine kleine Dreizimmerwohnung, bittet Antonio um Unterhalt für die Mädchen, damit sie sich die Wohnung leisten kann. Antonio will lieber in Naturalien für die Mädchen zahlen. Die Scheidung wird jedem etwas abverlangen, nicht nur in der Seele brennen. Antonio hat sich bereits neu arrangiert mit einer ziemlich jungen Freundin. In diesem Roman ist niemand gut oder böse – es ist passiert. Isaac Rosa dringt tief in eine Beziehung ein, legt männliche wie weibliche Einstellungen offen, Generationskonflikte, gesellschaftliche Schieflagen. Alleine die Dramaturgie ist außergewöhnlich gut konstruiert. Eine gescheiterte Beziehung – sie steht für alle anderen Paare, denen ähnliches passierte, ein Stoff, in dem sich letztendlich jeder wiederfinden kann. Doch auch, was Isaac Rosa hier an sprachlicher Prägnanz abliefert, ist schlicht hervorragend – Literatur vom Feinsten! Ich mag dieses gute Buch nicht unter Liebesroman einordnen, es käme in das falsche Regal, das es allerdings aufhellen würde. Die Übersetzer Marianne Gareis und Luis Ruby haben jeweils den weiblichen, bzw. männlichen Teil übersetzt, am Ende die Übersetzung des anderen gegengelesen.


Es ist schwer, Liebe in Worte zu fassen, ohne dabei zu denken, dass alles schon gesagt ist, dass wir nichts anderes tun, als überlieferte Sprüche zu wiederholen, Dialoge in Kinofilmen. Es ist schwer, zu lieben, ohne zu erwarten, dass im nächstbesten Moment die Scheißgeigen erklingen. Es ist sogar schwer, zu vögeln, ohne zu erkennen, dass man Stellungen aus dem Kino imitiert, dass selbst das Stöhnen geliehen ist. Die scheußliche ironische Distanz, die alles verseucht, eine schnelle Nummer genauso wie eine Beerdigung.


Isaac Rosa, geboren 1974 in Sevilla, gehört zu den wichtigsten Stimmen der spanischen Gegenwartsliteratur. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Premio Rómulo Gallegos, dem Premio Cálamo und dem Premio Andalucía de la Crítica. International bekannt wurde er mit seinem Bestseller »Das Leben in Rot«, der erfolgreich verfilmt wurde. Isaac Rosa ist als Kolumnist für verschiedene Magazine, Tageszeitungen und Nachrichtenportale tätig. Er lebt in Madrid.


Isaac Rosa  
Glückliches Ende
Originaltitel: Feliz final 
Übersetzung: , Marianne Gareis und Luis Ruby
Roman, zeitgenössische Literatur, Gesellschaftsroman, Liebesroman, spanische Literatur
Hardcover, 352 Seiten
Liebeskind Verlag, 2021



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

  Ein herrlich spaßiger, spannender Kinderkrimi! Mit Papa und seiner neuen Flamme in die Berge zum Wandern oder zu Oma Lore. Keine Frage! Bei der fetzigen Lore ist es immer lustig. Jetzt sitzt Pia aber seit über einer Stunde auf dem Bahnhof, ohne dass Oma sie abgeholt hat. Sehr seltsam. Omas Haus ist nicht weit entfernt; und so macht sich Pia mit ihrem Rollkoffer auf den Weg. Niemand öffnet die Tür! Durch ein offenes Fenster gelangt sie hinein. Doch Oma bleibt verschwunden. Die Detektivarbeit beginnt … Ein Pageturner, ein Kinderroman, eine waschechte Heldenreise, ein rasanter Abenteuerroman und nervenkitzelnder Kinderkrimi ab 8-10 Jahren. Unbedingt lesen!  Weiter zur Rezension:   Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

Rezension -MENSCH!: Eine Zeitreise durch unsere Evolution von Susan Schädlich, Michael Stang und Bea Davies

  Die Entstehungsgeschichte der Menschheit als spannende Comic-Sachgeschichte präsentiert – lehrreich und humorvoll verpackt! Woher kommen wir? Wer waren unsere Vorfahren? Und ab wann lernten sie, mit Werkzeugen umzugehen? Diese Graphic Novel nimmt uns mit auf eine Zeitreise durch die Evolution der Menschen, indem wir ihnen sozusagen hautnah begegnen. Wissenschaft meets Comic, Historische Fiction – Sachkinderbuch ab 10 Jahren, über die Evolution der Menschen – klasse gemacht! Empfehlung auch als Unterrichtsmaterial! Weiter zur Rezension:    MENSCH!: Eine Zeitreise durch unsere Evolution von Susan Schädlich, Michael Stang und Bea Davies

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz