Rezension
von Sabine Ibing
Diese goldenen Jahre
von Naomi Wood
Unser erstes Jahr am Bauhaus - was für ein schillerndes Jahr! Damals waren wir zu sechst: Walter und Jenö, Kaspar und Irmi, Charlotte und ich. Schon von Anfang an in dieser Kombination. Wir waren achtzehn, und Jenö zwanzig, als wir mit dem Vorkurs begannen. Uns wurde alles über Farbe und Form, Stofflichkeit und Materie beigebracht. Wir lernten das gesamte Wesen eines Objektes kennen: die Papierhaftigkeit von Papier, die Holzhaftigkeit von Holz, die Fasrigkeit von Faden und Seil. Vor allem lernten wir aber zu fasten und wie das Fasten in unserem hungrigen Ich eine ganze Welt aus Glanz, Chaos und Genuss entstehen lassen konnte.
Ein Roman über eine Gruppe von Studenten, die im neu gegründeten »Bauhaus« studieren durften. Das sogenannte Bauhaus wurde 1919 von Walter Gropius in Weimar als Kunstschule gegründet. Es war eine neue Art, Kunst zu verstehen – Handwerk als Grundlage, eine Kombination aus Handwerk, Kunst und Architektur, Kunst als Gebrauchsartikel zu sehen, aus Gebräuchlichem Kunstgegenstände herzustellen, Kunst in die industrielle und handwerkliche Produktion zu integrieren. Kunst sollte etwas für Jedermann sein, nicht nur etwas für Privilegierte. Das historische Bauhaus stellt heute die einflussreichste Bildungsstätte im Bereich der Architektur, der Kunst und des Designs im 20. Jahrhundert dar. Klare Kompositionen ohne Schnörkel und Schnickschnack und Kitsch waren hier gefragt. Die Ausbilder nannten sich hier auch nicht Dozenten, sondern Meister. Ich hatte mich auf den Roman gefreut. Aber liebe Naomi Wood, du hast es dir mit mir verdorben – ganz und gar! Walter Gropius hatte die Idee dafür und war einer der drei Direktoren: in der Zeit von 1919 – 1933. Gropius, danach Hans Emil Meyer und zuletzt Ludwig Mies van der Rohe. Gropius wird heute in einem anderen Licht gesehen, als damals – das hätte man einfließen lassen können. Sein andauernder Streit mit Johannes Itten führte dazu, dass Itten das Bauhaus wieder verließ. Ein Roman, der sich mit historischen Inhalten befasst, sollte sich doch an historische Grundlagen halten. Klar, es ist ein Roman, und der lässt dem Autoren ein wenig Freiheit, lässt ihn Protagonisten erfinden, die es nicht gab, wie diese sechs Studenten. Das ist ok. Aber über das Studium im Bauhaus zu schreiben und Gropius nicht darin vorkommen zu lassen, das ließ mich nach Luft schnappen. Im Roman gibt es im Hintergrund einen ominösen Direktor, der irgendetwas entscheidet, etwas organisiert, ein Mann, der nie in Erscheinung tritt. Johannes Itten, einer der Meister, wird gut beschrieben! Es war auch eine schillernde Persönlichkeit: Sein gesamter Habitus, der für seine ganzheitliche lebensreformerische Idee stand, einer, der nur schwarze Kleidung trug, einen asiatischen Mantel – seine Askese, Meditation und das Fasten. Meyer kommt als Dozent am Rande vor. 1925 wurde das Bauhaus in Weimar auf politischem Druck geschlossen (was nicht definiert wird – auch nicht der Konflikt mit althergebrachten Kunstschule), man zog um ins Bauhaus nach Dessau. Nur leider wird auch hier wieder nicht erwähnt, welch revolutionäre Möbel hier erfunden wurden.
Ein Bahnhof sollte nicht so tun, als wäre er ein schottisches Schloss! Ein Hotel sollte nicht aussehen wie die Alhambra. Materialtreue sowohl in der technischen Verarbeitung, sowohl in der technischen Verarbeitung wie auch in der Gestaltung, sollte das Ziel all unserer Mühen sein. Was wir hier tun ist nicht Kunst, sondern Experiment. Mag sein, dass daraus wunderbares Design entsteht. Aber zunächst geht es darum zu verstehen, welche Eigenschaften ein Material hat und wie wir sie für unsere Zwecke nutzen können.
Es gibt ein paar Stellen in dem Roman, der sich mit der Arbeit der Studenten im Bauhaus befasst, leider nur zu wenig. Immer wieder geht es darum, dass sich zwei Studenten der Clique nebenbei Geld verdienen, in dem sie für einen Kunsthändler Bilder herstellen nach altem Rezept, Auftragsarbeiten, Landschaften usw, mit einem guten Schlag Kitsch. Letztendlich geht es in dem Roman um diverse Liebesgeschichten. Rückblickend berichtet Paul Beckermann über diese Sechserclique. Paul, nun in London lebend, wird von Irmi angerufen, Walter ist tot, Schlaganfall. Aber Paul fährt nicht zur Beerdigung. Kaspar war bereits verstorben, sie hatten ihn mit seinem Flugzeug über Alexandria abgeschossen, Charlotte hatte Buchenwald nicht überlebt. Paul erinnert sich, wie alles in Weimar begann: Wer liebt wen, wer bekommt wen, wer macht mit wem Schluss und welche Lieben werden nie erfüllt werden. Dazwischen immer wieder ein wenig Arbeit im Bauhaus. Mir persönlich war es zu viel Liebesroman und zu wenig Historisches – und dann auch noch Falsches, wichtige historische Fakten fehlen.
Die Bauhäusler des 21. Jahrhunderts werden wissen, dass es in Wirklichkeit drei Direktoren in Weimar, Dessau und Berlin gab, nämlich Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe. Aus erzählerischen Gründen habe ich diese Funktion der drei jedoch zu einer Figur zusammengefasst. Auserdem habe ich an einigen Stellen, wo es mir für den Verlauf der Handlung notwendig schien, Ortsbeschreibungen verändert und Abläufe komprimiert.
Berühmte Künstler mit bahnbrechenden Ideen lehrten am Bauhaus, der russische Maler Wassily Kandinsky, wie auch sein Freund Paul Klee, ab 1921 in Weimar und später in Dessau, auch wie Lyonel Feininger und Oskar Schlemmer. Das wird nebenbei erwähnt, aber es kommt dabei nicht zum Tragen, wie sich ihre Arbeit auf die gesamte Bewegung auswirkte. Irgendwo im Roman schwirrt hin und wieder mal ein Direktor herum. Man mag denken, er sitzt dort irgendwo im Büro. Aber genau diese Direktoren hatten einen starken Einfluss auf diese kleine Einheit! 1928 übergab Walter Gropius, völlig genervt durch die andauernden kommunalpolitischen Querelen um das Bauhaus, den Direktorenposten an den Schweizer Architekten Hannes Meyer. Der wiederum wurde 1930 durch die Stadt Dessau entlassen, weil er, wie Gropius, die kommunistische Radikalisierung der Bauhaus-Studenten nicht unterbinden konnte. Der Architekten Ludwig Mies van der Rohe wurde von Gropius als dritter Direktor vorgeschlagen und eingestellt. Alle drei hatten starken Einfluss auf das Bauhaus und mussten aufgrund der Konflikte mit der konservativen Gesellschaft und der konservativen, konkurrierenden Kunsthochschule (um Gelder) ihren Posten räumen, vordergründig unterstellte man dem Bauhaus sozialistische Tendenzen. Und das kann man nicht unerwähnt lassen, wenn man einen Roman über das Bauhaus schreibt! Diese wichtigen Menschen unterschlagen!
Leider musste das Bauhaus-Thema für die Liebesgeschichten und einzelnen Dramen Platz machen. Wer hier mit wem eine Liebschaft hat, oder doch nicht, oder vielleicht, dann wieder oder nicht – das hat mich so gar nicht nicht interessiert. Es gelingt Naomi Wood nicht, die Kunsteinrichtung zu transportieren, zu vermitteln, noch den historischen Hintergrund gebührend zu würdigen. Schon gar nicht kommuniziert die Autorin die Wichtigkeit der Kunstrichtung auf die Moderne, auf eine ganze Generation folgender Industriedesigner, Innenarchitekten, Architekten – Grafik-Design wäre ohne das Bauhaus nicht entstanden. Man sollte diesen Roman als Liebesroman betiteln – viel mehr ist er nicht. Das Bauhaus und dessen Künstler haben eine andere Würdigung verdient!
Naomi Wood, geboren 1983, studierte in Cambridge und promovierte an der University of East Anglia. Mit ihrem Roman »Als Hemingway mich liebte« (2016) gelang ihr der internationale Durchbruch. Sie lebt mit ihrer Familie in Norwich.
Naomi Wood
Diese goldenen Jahre
Original: The Hiding Game
Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Feldmann
Roman mit historischem Background
Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
Atlantik Verlag, 2019
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