Rezension
von Sabine Ibing
Die Samariterin
von Ulrike Bliefert
Der erste Satz: Es gibt Menschen, die schnarchen geradezu lieblich: sanft schnarrendes Einatmen, gefolgt von einem genussvoll entspannten Püüü oder Pfüüü; beide Sequenzen etwa gleich lang und beinahe ohne Pause aufeinander folgend: Genussschnarcher , mit schönen Träumen.
Susanne Kleinschmitt lebt zusammen mit ihrer Mutter Gertrud am äußersten Zipfel der Gemeinde, am Waldesrand in einem großen Forsthaus. Das klingt zunächst idyllisch. Doch Mutti ist ein Tyrann. Bettlägerig, eher zum Schein, triezt und scheucht sie ihre Tochter, sich um die Mutter zu kümmern, sie zu bespaßen, sie zu pflegen, das mit der Laune eines gereizten Grizzlybären. Für die junge Krankenschwester gibt es nur Arbeit und Mutti – doch eigentlich würde sie gern einmal ausgehen, einen Mann kennenlernen. Bei einem Abitreffen trifft sie auf Evelyn, die heute als Psychologin arbeitet. Die sucht hilferingend nach Menschen, die mit Langzeitgefangenen Briefkontakt halten. Man verliere bei einem längeren Knastaufenthalt den Bezug in die Welt, die sich so schnell verändert, auch psychologisch stabilisiert man Gefangene mit einem Gesprächsbezug außerhalb der Mauern. Susanne, immer das Herz für Menschen weit geöffnet, beginnt einen Briefwechsel mit Andreas Vogel, der seine Frau erschlagen hat, und in der JVA Dietz einsitzt. Ein komischer Vogel, der anfangs ein wenig gestelzt klingt, Susanne als zauberhaftes Burgfräulein anspricht - was ihr wie Öl hinunterfließt. Und Evelyn? Warum sprach sie Susanne an? Welche Intension steckt dahinter?
Leichte Kost zur Unterhaltung
Gertrud Kleinschmitt gab einen höhnischen Grunzlaut von sich und legte Andreas Vogels Brief zu den anderen. …aber mittlerweile las sie Andreas Vogels Briefe mit wachsender Sorge.
Mehr möchte ich nicht verraten, nur so viel noch, es gibt ein paar wunderbare Wendungen, mit denen der Leser anfangs nicht rechnet. Der Klappentext verrät leider zwei Drittel des Thrillers. Das finde ich schade, gerade bei einem Thriller ist der Leser enttäuscht, wenn er mehr als den halben Inhalt im Voraus kennt. Die Entscheidung für den Klappentext haben leider selten die Autoren.
Der Roman liest sich leicht, mit einer guten Portion schwarzen Humors, ein Buch zur Unterhaltung. Spannend geschrieben, denn der Leser weiß meistens mehr als die Protagonisten, dramatische Wendungen, füllen die Geschichte. Insofern habe ich mich gut unterhalten gefühlt.
Bonnie-und-Clyde-Syndrom
Im Fachjargon nennt man es Hybristophilie, es wird gern als »Rotkäppchen-Syndrom« oder «Bonnie-und-Clyde-Syndrom» bezeichnet: Das emotionale Denken dominiert über das rationale Denken, wenn Frauen sich in Verbrecher verlieben. Ist man verliebt, setzt das Gehirn aus, klar, aber das gibt sich. In diesem Fall behält das Emotionale die Oberhand. In diesen speziellen Fällen werden diverse Gehirnzonen getriggert, eine nicht ungefährliche Geschichte. Viele verschiedene Ursachen können der Auslöser sein. Und genau dieses Thema hat mir in der Figurentiefe gefehlt. Susanne Kleinschmitt kam als Samariterin recht gut herüber. Mutti blieb im Hintergrund, ich hätte gern gewusst, was sie zu der verbitterten Frau gemacht hat. Von Evelyn habe ich nichts erfahren, ihre Intension nicht begriffen, das war wirklich schade. Und auch Andreas Vogel bleibt als Charakter sehr flach.Wie gesagt, ein spannender Roman, der schnell gelesen ist, eine gute Unterhaltungslektüre, daran gibt es nichts zu rütteln.
Ulrike Bliefert, geb. 1951, ist eine beliebte Film- und TV-Schauspielerin. Ende der 70er Jahre wurde sie mit der Rolle der Maximiliane in den Literaturverfilmungen »Jauche und Levkojen« und »Nirgendwo ist Poenichen« bekannt. Sie wirkte bis heute in mehr als 40 Hauptrollen, div. Nebenrollen in Fernseh- und Kinofilmen, Serien und Reihen in Tatort-Folgen und Krimiserien. Neben umfangreicher Tätigkeit als Hörspiel- und Featuresprecherin arbeitet sie als Drehbuchautorin (u. a. Tatort »Rückfällig«). Sie schreibt Bühnenstücke, Drehbücher und Romane in verschiedenen
Genres.
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