Direkt zum Hauptbereich

Die ganze Wahrheit (wie Mason Buttle sie erzählt) von Leslie Connor - Rezension

Rezension

Sabine Ibing



Die ganze Wahrheit (wie Mason Buttle sie erzählt) 

von Leslie Connor



Der Anfang:   Also, ich sag mal so: Ich weiß genau, wer das T-Shirt in mein Schließfach gestopft hat.


Mason Buttle hat es nicht leicht, denn er kann kaum lesen und schreiben. Deshalb lachen andere Kinder in der Schule über ihn und hänseln ihn. Obendrauf hat er eine seltene Krankheit, er leidet unter extremen Schwitzen, hat ständig nasse Hände und ein nasses Gesicht, wechselt sein T-Shirt, wäscht sich den Schweiß mit einem Tuch ab. Sein einziger Freund ist tot. Eines Tages lag er unter dem Baumhaus, von der Leiter gefallen. Ein Polizist taucht immer wieder bei Mason zu Hause auf, denn er glaubt, der Junge weiß etwas, hat etwas beobachtet, das noch tief in ihm steckt, an das er sich vielleicht nicht erinnern kann. Der Mason lebt auf eine Apfelfarm, die aber nicht mehr bearbeitet wird, zusammen mit seiner Großmutter, seinem Onkel und einer jungen Frau, die sie von der Straße aufgelesen haben. Das alte, windschiefe Haus bezeichnet er selbst als Bruchbude. 


Zwei, die gemobbt werden, bilden ein Team

Ähm. Okay. Ich ... ähm. Steige in den Bus. Ich habe einen Doppelsitz für mich allein. Morgens ist das meistens so. ... Da muss ich auch nicht befürchten, dass ich jemanden vollschwitze.

 

Mason findet einen neuen Freund, Calvin, der Neue. Er ist ungewöhnlich klein und dünn, dafür aber besonders schlau, hat immer sein Tablett dabei. Die beiden haben eins gemeinsam: Sie steigen an derselben Haltestelle aus dem Schulbus aus, werden im Bus von anderen Jungen traktiert, die Calvin als Pygmäen beschimpfen, die sie nach dem Aussteigen jagen, mit Äpfeln beschmeißen. Das Haus von Mason ist näher dran. Dorthin flüchten sie jeden Tag unter dem Hagel von Äpfeln, die auf der Plantage auf dem Boden liegen. Grandma macht ihnen einen täglich einen Bananenshake. In einem alten Lagerkeller, der sich in der Nähe vom Haus befindet, richten sie es sich ein. Der Zugang ist durch Brombeerhecken geschützt. Das ist ihre Höhle, ihr Versteck, das sie innen mit Höhlenmalerei schmücken wollen. Hier sind sie sicher vor den fiesen Jungs! Und Mason zeigt dort sein Talent: Gefühle als Farben wahrzunehmen zu können, und er kann malen


Freundschaft zählt

Mason ist lernbehindert und versteht oft Zusammenhänge nicht. Wir lernen die Welt aus seiner Sicht kennen. Er versteht auch die Fragen des Polizisten nicht genau, versucht ihm, in seiner Art zu antworten, Farbeen die er gesehen hat, doch der ungeduldige Mann unterbricht den Jungen ständig. Der Leser ahnt, dass mit dem Unfall von Masons Freund etwas nicht stimmt, ein Strang, der das Buch durchzieht, am Ende aufgelöst wird. Alle wissen Bescheid, sie lesen Zeitung, nur Mason nicht, er kann nicht lesen, und wir lesen ja seine Perspektive. Ein warmherziger Antiheld, der sich für seine Freunde einsetzt, der nicht alles versteht. Was hier zählt, ist Freundschaft und der Rückhalt der Familie – zum Ende wird das Buch noch richtig spannend. Es ist ein ruhiges Kinderbuch, sehr im amerikanischen Stil. Ein Kinderroman zum Thema Menschlichkeit, Freundschaft, Mobbing und Ausgrenzung. Der Hansaverlag gibt eine Altersempfehlung ab 10 Jahren; dem kann ich mich anschließen. Der Roman ist in Ordnung. Mir persönlich war es zu sehr auf Hollywoodmanier geschrieben. Zuviel Tränendrüse und Strickmuster: Liest du die ersten Seiten, kennst du die Mitte und das Ende. Das Strickmuster der Heldenreise funktioniert, aber es ist arg ausgeleiert. Sprachlich ist es in Ordnung, aber nicht der große Wurf. Vielleicht ist es das Gesamtkonzept  – trotz der gesamten Dramatik hat mich das Buch nicht berühren können, die Aussage ist mir zu einfach im Endergebnis, die Zwischentöne fehlen.


Leslie Connor, geboren 1959, in Cleveland, Ohio, hat bereits einige, mit vielen Preisen ausgezeichnete Bücher für Kinder geschrieben. Dieses Kinderbuch wurde mit dem ALA Schneider Family Book Award ausgezeichnet wurde und außerdem Finalist des National Book Award 2018 war. Connor lebt mit ihrer Familie und drei Hunden in den Wäldern von Connecticut.


Leslie Connor
Die ganze Wahrheit (wie Mason Buttle sie erzählt)
Originaltitel: The Truth as Told by Mason Buttle
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von André Mumot
Kinderbuch, Kinderroman
Fester Einband, 320 Seiten
Hanser Verlag, 2021
Altersempfehlung: ab 10 Jahren




Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Rath von Volker Kutscher

  Gelesen von David Nathan Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 21 Std. und 49 Min. Gereon und Charlotte Rath warten im Herbst 1938 nur noch auf den richtigen Moment, Deutschland zu verlassen, um nach Amerika zu gehen. Sie treffen sich heimlich in Hannover , denn Charly lebt immer noch in Berlin und Gereon, der als verstorben gilt, wohnt inkognito in Rhöndorf am Rhein , weil er seinen im Sterben liegenden Vater nicht im Stich lassen will. Charly sucht ihren ehemaligen Pflegesohn Fritze, der ausgerissen ist und unter Mordverdacht steht. Als sich die Lage zuspitzt, muss Gereon sein Versteck verlassen und Charly zu Hilfe kommen, nach Berlin reisen. Der 10. und letzte Band der Gereon Rath-Reihe - wie immer hochspannend, historisch gut recherchiert. Noirliteratur , ein feiner literarischer Krimi ! Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Rath von Volker Kutscher

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht