Direkt zum Hauptbereich

Der Tomatenrebell von Michael Beisteiner und Alex Nemec - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Der Tomatenrebell 


von Michael Beisteiner und Alex Nemec


Seht ihr das auch? … Die spitzen Dächer über den roten, rundlichen Häuschen? Ja? Das ist das Dörfchen Paradull. In dem hausen die Paradulis. Hört ihr die vielen Vögel? Sie lieben diese grünen Wiesen. Zilpzalps zirpen hier, und auch Gelbspötter, Schwalben und Braunellen, Zippammern, Zaunkönige und freche Wiesenpieper. Dort: Zitronengirlitze – und da: jede Menge Waldbaumläufer. Sogar Singdrosseln. Mmh … Dieser Duft von frischen Tomaten! Kein Wunder, wo doch all die Hügel übersät sind davon. Reihe an Reihe an Reihe … Kommt, wir spazieren mal nach Paradull. Bestimmt sind wir dort herzlich» willkommen! 

Eine Parabel für Kinder zum Kapitalismus. Michael Beisteiner hat diese Geschichte als Reportage gestaltet. Der Anfang gleicht einer Kameraperspektive aus dem Vogelflug. Landen und in das Dorf hineinspazieren. Gemütlich geht es hier zu. Tomaten, Tomaten, Tomaten – Tomatensaft-Bar, es gibt eine Tomatenschule, Versammlungsplatz, auf dem auch das Fest des Tomatenwerfens stattfindet, bei dem sich das ganze Dorf mit den roten Früchten bewirft, bis alle klitschnass vom roten Saft triefend ihr Fest feiern. Das Dorf der Paradulli strahlt Ruhe und Zufriedenheit aus. Schon ihre Vorfahren hatten das Ziel, die allerbesten, schmackhaftesten Tomaten der Welt zu züchten. Es gab einmal eine Zwischenzeit, da war das nicht so, erzählt uns der Älteste.




Eines Tages taucht ein Mann namens Bissl Bissi auf. Er behauptet, ein Allheilmittel gegen Unkraut zu haben: Unkrautnix. Der Typ kann reden, dass man von seinen Worten ganz besoffen wird. Kein Unkraut – kein Unkraut zupfen. Viel Zeit für die Menschen, sich in Ruhe in die Sonne zu legen. Und noch etwas! Der Ertrag vom Feld würde sich verdreifachen! Bissl Bissi wird bejubelt. Nur einer ist misstrauisch, Der wilde Paradulli, sagt, darüber müsse man in Ruhe nachdenken, abwägen, sich informieren, irgendwas könne hier nicht stimmen. Doch Bissl Bissi verlangt eine sofortige Entscheidung. Und klar, die Dörfler heben alle den Finger, bis auf einen. Nun fließt in Mengen Unkrautnix auf die Felder. Nur einer macht weiter wie zuvor. Kein Unkraut mehr, und dreifache Ernte! Dreifache Ernte bedeutet dreifache Arbeit. Und  Bissl Bissi hat noch ein paar Ideen, die Produktion zu steigern, macht die kleineren Tomaten vom wilden Paradulli schlecht, die teils Orange sind, in verschiedenen Größen und manche haben sogar braune Flecken. Der Wilde liegt gern mal auf seinem Gartenstuhl, genießt die Sonne. Die anderen sieht er kaum noch, sie arbeiten, was das Zeug hält, haben nicht mal Zeit Feste zu feiern. Und diese dicken Tomaten, denkt der Wilde – Pfui Teufel!




Michael Beisteiner beschreibt in diesem Kinderbuch die übelste Art von Ausnutzung der Ressourcen. Den Boden überdüngen, mit Pestizden vollpumpen – das Ergebnis hier sind große, gutaussehende Tomaten, die nach Nichts schmecken, verstecktes, unsichtbares Gift. Gleichzeitig treibt Bissl Bissi alle Bewohner zu noch mehr Arbeit an: immer mehr! Mehr Arbeit, mehr Produktion, mehr Umsatz. Wer dreht gemütlich die Daumen und schummelt, verdient an den anderen?
Der wilde Paradulli jedoch bleibt ein Außenseiter, besonnen, kalkulierend, aufmerksam. Er macht bei dem Spiel nicht mit. Und eines Tages reicht es ihm.
Gleich zu Beginn nimmt uns der Autor atmosphärisch in eine wundervolle Landschaft mit, ein gemütliches Dorf, der Leser wird direkt angesprochen, dem Erzähler zu folgen. Die Perspektive wechselt, der Dorfälteste berichtet uns von den Geschehnissen im Dorf. Das Buch gleicht einer Reportage, einem Interview. Anhand der Tomatengeschichte lässt sich wunderbar die Verseuchung von Grundwasser, Überdüngung, Insektensterben, Produktverwässerung und das Wirtschaftsprinzips der Produktionssteigerung erklären. Gute Idee.

Alex Nemec hat den Text mit ein paar Grafiken bereichert – Bleistift-, Kohlezeichnungen, plus rote Akzente. Sie sind ganz witzig, lockern den Text auf. Leider wird er auf dem Cover und auch auf der Website des Verlags nicht erwähnt. Das ist nicht üblich und für mich beschämend. Eins hat mich an diesem Buch maßlos gestört: Es gibt in diesem Ort nicht eine Frau! Die Schlümpfe haben wenigstens Schlumpfinchen. Der Erzähler ist ein Herr - der Dorfälteste, der Rebell und andere Männer, Bissl Bissi und seine Männer - die Bewohner. Wie haben die sich eigentlich fortgepflanzt? Oder ist es schlicht so, dass Frauen im Leben nicht zählen, so wie der Grafiker? Eine Altersempfehlung fehlt leider auch auf der Verlagswebsite des wort-weit Verlags. Daher von mir eine Empfehlung: ab 10 Jahren. In der Mitte wird die Geschichte ein wenig zäh und, um sie zu verstehen, braucht es Grundverständnis der Biologie, des Wasserkreislaufs - der Physik für das Ende, usw. Auch braucht es einen Erwachsenen, der die Zusammenhänge erklärt, denn nur für einen Erwachsenen ist die Geschichte selbsterklärend. So nett wie die Story ist, es fehlt mir der Respekt im großen Ganzen. Ein Buch ist ein Rundumpaket.


Michael Beisteiner, geboren 1977, lebt als freier Autor in Wien und Serbien. Er studierte Philosophie und bereiste einige Teile der Welt. Die Gründung einer Familie konnte sein Reisefieber etwas senken. Zehn Jahre lang war er Sänger und Texter einer Hardcore-Punkband. Er schrieb für das 25magazine.

Alex Nemec wuchs in einem Weinviertel auf, war er schon im frühen Kindesalter von der Natur begeistert. Zeichnen wurde ihm in die Wiege gelegt. Alexander Nemec verschlang Band um Band über Tiere und Pflanzen der umfangreichen Bibliothek seiner Eltern. Während Natur seine große Leidenschaft ist, ist Malen sein Schicksal. So kam es, dass er zwar Biologie studierte, das Studium aber abbrach und sich immer mehr mit Kunst, der Welt und sich selbst auseinanderzusetzen begann. Heute lebt und arbeitet er in Wien als Künstler.


Der Tomatenrebell 
von Michael Beisteiner und Alex Nemec
Kinderbuch
Fester Einband, 112 Seiten
wortweit-Verlag, 2020

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis

  (Detektivbüro LasseMaja, Bd. 37)  Es gibt hochfliegende Pläne im Ort Valleby: Ein Astronaut macht mit seiner Raumkapsel in der Kleinstadt Station und will als Nächstes den Planeten Neptun ansteuern. Und laut tönt er, er suche Astronaut:innen, die ihn begleiten. Bewerber will er einem Astronauten-Test unterziehen, danach bestimmt er, wer mitfliegen darf! Natürlich benötigt er auch Spenden für sein Projekt. Die Detektiv:innen Lasse und Maja hören genau zu. Und bei dem, was der Mann so erzählt, kommt schnell der Verdacht, dass an der Geschichte etwas faul ist und der Typ ein Betrüger ist. Das teilen sie dem Dorfpolizisten mit – doch der hat gerade keine Zeit für sie. Ein Dieb geht um … Spannender, witziger Kinderkrimi ab 8 Jahren, Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis 

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Helisee - Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

  Im 10. Jahrhundert gehört der westliche Teil der heutigen Schweiz zum Königreich Birgunt, erzählt uns diese Geschichte. Es ist eine wilde Gegend voller Wälder und Sümpfe, wo viele Menschen noch im Glauben an die alten Götter und Geister leben. Die Mauren greifen das Land an. Die Königin Bertha schützt das Land tapfer gegen räuberische Einfälle der mediterranen Mauren. Als der Hirtenjunge Ernestus, den die Leute im Dorf Erni nennen, einer ausgerissenen Ziege in den Wald folgt, überschreitet er unabsichtlich die Grenze des verrufenen Landstriches Nuithônia, dem Land der Feen. Seit Menschengedenken ist es verboten, dieses Gebiet am Fuß der Alpen zu betreten. Und er findet dort einen besonderen weißen Kiesel … Ein epischer Roman der High Fantasy, ein wenig Schweizer Sagenwelt, gut zu lesen. Weiter zur Rezension:    Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore