Direkt zum Hauptbereich

Der Ring des Polykrates von Friedrich von Schiller und Almud Kunert - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Der Ring des Polykrates 


von Friedrich von Schiller und Almud Kunert


Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf das beherrschte Samos hin.
‹Dies alles ist mir untertänig,›
Begann er zu Ägyptens König,
‹Gestehe, das ich glücklich bin.

Schillers Ballade von 1797 lehnt sich an eine Erzählung des griechischen Geschichtsschreibers Herodot an, der das Schicksal des Polykrates beschreibt. Ich erinnere mich noch, diese Ballade nicht im Deutschunterricht durchgenommen zu haben, sondern in Geschichte – zum Thema Napoleon. Unser Lehrer meinte, Schiller habe ironisch hiermit auf den rasanten Aufstieg Napoleons, der sich 1804 selbst zum Kaiser von Frankreich krönte, auf seinen unausweichlichen Abstieg hindeuten wollen. Vorstellbar. Schiller war ein kluger Kopf und in der Regel enden fast alle Tyrannen, wenn man Napoleon dazuzählen möchte, an ihrer Selbstüberschätzung.



Am Anfang der Ballade blicken der Herrscher Polykrates und sein Freund der Pharao Amasis über das Reich Samos, wobei sich Polykrates seines Glückes rühmt. Die antike Vorstellung war, dass auf Glück durch die Götter ein Unglück folgen muss: Die Wankelmut der Tyche (der Fortuna, des Glücks) und der die Vergeltung (die Nemesis), Selbstüberschätzung und Hochmut (die Hybris). Dreimal ist Polykrates um sein Kriegsglück besorgt: Der Feldzug in Kleinasien, die Bedrohung seiner Flotte durch die übermächtige Seemacht der Kreter, überhaupt die Kreter. Doch die Götter sind mit ihm: Ein Siegesbote bringt das Haupt des besiegten gegnerischen Feldherrn aus Kleinasien, seine Kriegsflotte fährt ein: «Die Kreter hat der Sturm zerstreuet» wird verkündet. Pharao Amasis, zunächst nur beruhigt,ist nun fassungslos:

Mir grauet vor der Götter Neide,
des Lebens ungemischte Freude
ward keinem Irdischen zuteil.



Er schlägt Polykrates vor, seinen teuersten Schatz im Meer zu versenken, doch ein wenig Unglück dem Glück hinzuzufügen. Polykrates schmeißt nun seinen Lieblingsring ins Meer, der gleich anderntags von seinem Koch im Bauch eines gefangenen Fisches gefunden wird. Der Ring geht zurück an den Besitzen. Amasis hält es in seiner Angst nicht mehr aus, verlässt den Polykrates unverzüglich:

Die Götter wollen dein Verderben, fort eil ich, nicht mit dir zu sterben.

Was folgt, ist durch Herodot bekannt: Polykrates wurde 522 v. Chr. vom persischen Satrapen Oroites gefangen genommen, auf Mykale getötet, sein Leichnam wurde gekreuzigt am Straßenrand aufgestellt.



Schiller stellt die Frage nach dem Glück. Polykrates wird mit Glück überhäuft, mit Reichtümern förmlich überschüttet. Doch sein Freund ahnt Böses: «Mir grauet vor der Götter Neide». Als Kind liebte ich Schillers Balladen, aber diese hier konnte mich nie locken. Sprachlich ist sie im Gegensatz zu den anderen etwas trocken. Doch hier kommt Almud Kunert ins Spiel. Sie setzt durch farbenprächtige Grafiken das Gedicht in Szene. Polykrates wirkt keinesfalls sympathisch oder demütig, seines Glückes Schmied! Fett und dreist, riesig thront er stets im Zentrum des Bildes. Interessant ist die Tochter, deren entsetztes Gesicht in dunkle Gedanken gesetzt sind. Wie z.B. als der Kopf des gegnerischen Tyrannen präsentiert wird (keine Angst, es ist nicht gruselig) – die Denkblase zeigt, dass sie fühlt: das Blut und Tod wohl höher wiegen mögen als Gold, das der Vater dafür erhielt. Sie sieht Menschen im Meer versinken, Städte brennen. Und als der Vater seinen größten Schatz ins Meer schmeißen soll, sieht sie die Szene, wie er sie ins Meer stößt – doch der größte Schatz ist ein banaler Ring, der hinunterfällt in die Tiefen zu Neptun. Der Meeresboden ist bedeckt mit vom Speeren durchbohrten Soldaten. An den Wänden der Stadt sind Wandschmiererei gemalt, die den Tod des Herrschers von Samos und Frieden fordern. Es gibt eine Menge Kleinigkeiten, die Großes in den Gedanken des Lesers auslösen.




Ein sehr schön illustriertes Bilderbuch mit raffinierten Andeutungen in den Zeichnungen, dass vom Kindermann Verlag für das Alter ab 7 Jahren empfohlen wird. Ich bin eher geneigt ab 10 Jahren das Buch vorzuschlagen. Schiller stellt philosophische Grundfragen mit diesem Erzählgedicht, die nicht gleich auf der Hand liegen, wie in seinen anderen Balladen. Kann einer immer Glück haben? Wird man irgendwann für sein Glück bestraft? Und auf wessen Unglück baut sich vielleicht das eigene Glück auf? Wann muss man auf Glück verzichten, wenn es angeboten wird? Muss man Unglück erleiden, trauern, damit man sein Glück mit Demut und Vorsicht genießen kann – es überhaupt wahrnimmt? Ein Thema, dass sich in diesen Tagen gut diskutieren lässt. Die Grafiken von Almud Kunert stellen die Fragen, ergänzen den Text, um ihn verständlich zu machen – und genau darum ist dieses Bilderbuch exzellent! So soll es sein. Grafik und Text verschmelzen zu einem Ganzen. Das Buch stand auf der Longlist der Stiftung Buchkunst: «Die schönsten deutschen Bücher 2017»


Almud Kunert, geboren 1964 in Bayreuth, lebte und lernte zunächst in Paris und studierte anschließend Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in München. Seither hatte sie als freischaffende Künstlerin diverse Ausstellungen und erhielt ein Stipendium der Sommerakademie Salzburg. Darüber hinaus arbeitet sie seit 1992 als freie Illustratorin für verschiedene Verlage und die Werbebranche. Almud Kunert lebt in München.


Der Ring des Polykrates 
Friedrich von Schiller, mit Bildern von Almud Kunert
Bilderbuch, Klassik für Kinder, illustrierte Ballade
Der Ring des Polykrates
Kindermann Verlag 2017
Halbleinen, 32 Seiten, 21 x 28 cm
Altersempfehlung: ab 7 Jahre

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore

Rezension - Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis

  (Detektivbüro LasseMaja, Bd. 37)  Es gibt hochfliegende Pläne im Ort Valleby: Ein Astronaut macht mit seiner Raumkapsel in der Kleinstadt Station und will als Nächstes den Planeten Neptun ansteuern. Und laut tönt er, er suche Astronaut:innen, die ihn begleiten. Bewerber will er einem Astronauten-Test unterziehen, danach bestimmt er, wer mitfliegen darf! Natürlich benötigt er auch Spenden für sein Projekt. Die Detektiv:innen Lasse und Maja hören genau zu. Und bei dem, was der Mann so erzählt, kommt schnell der Verdacht, dass an der Geschichte etwas faul ist und der Typ ein Betrüger ist. Das teilen sie dem Dorfpolizisten mit – doch der hat gerade keine Zeit für sie. Ein Dieb geht um … Spannender, witziger Kinderkrimi ab 8 Jahren, Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis 

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna

  Ein alter Mann lebt in einem Haus am Waldrand, mit Blick auf die Stadt. Eines Tages kommt ein hungriger Hund zum Haus, der sich nicht herantraut. Der Mann stellt Futter hin und geht zurück ins Haus. Jeden Tag kommt der Hund am Morgen und am Abend, und weil er so knochendürr ist, nennt der Mann ihn Osso, schließt den Streuner ins Herz. Eine wunderschön erzählt und illustrierte Geschichte über die Beziehung Mensch und Hund. Allage, ab 10 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna