Rezension
von Sabine Ibing
China First
von Theo Sommer
Die Welt auf dem Weg ins chinesische Jahrhundert
Die Menschheit er lebt derzeit den dramatischsten Geopolitischen, geostrategischen und geoökonomischen Wandel seit einem halben Jahrtausend. Genau genommen ist es die dritte historische Machtverschiebung der neueren Geschichte.
Kaum ein Journalist kennt China besser als Theo Sommer. Man darf sich allerdings nicht von diesem Titel verführen lassen. Sommer blickt zurück ins Reich der Mitte und in die Zukunft, zeigt die Entwicklung Chinas aus seiner Sicht als langjähriger Korrespondent. Er beginnt mit einer kurzen Rückschau und erklärt dann, wie der wirtschaftliche Aufstieg Chinas sich erklären lässt. Am Ende nimmt Sommer die Mentalität der Chinesen ins Visier, ihre Strategie, Anknüpfungspunkte mit dem Westen, aber auch Brennpunkte und schwer überwindbare Gegensätze.
Auch Pekings Seidenstraßenprojekt ist nicht so harmlos, wie es aussieht. Mit seinen Zuschüssen, Krediten und kompletten Finanzierungspaketen schafft sich China Einflusssphären rings um den Globus. Es ist überall willkommen, wo das Geld knapp ist und wo politische, besonders menschenrechtliche Auflagen der Geldgeber unwillkommen sind. Den armen Ländern erscheint es wie eine wie der reiche Onkel der keine Fragen stellt.
Das Kaiserreich ist auf dem Weg zurück ins Machtzentrum, der Glanz strahlt wieder hell, wie es scheint. Ganz so ist es nicht. Innerhalb des eigenen Landes haben die Chinesen enorm viel erreicht. Noch nie ging es ihnen so gut wie heute. Zu früheren Glanzzeiten bekamen ja nur Wenige etwas vom großen Kuchen ab. Nachdem die neue Regierung den Geschäftsleuten wieder erlaubte zu investieren, mussten sie ihre Landmänner aber auch wieder zurückpfeifen. Zu kreativ, undurchdacht und sorglos wurde das Geld verteilt, investiert; und schon bald wackelte das ein oder andere überdimensionierte Türmchen. Neue Regeln brachten mehr Seriosität in die Geschäfte, und einige chinesische Firmen waren gezwungen, wankende Geschäftsteile abzustoßen. Die Öffnung zu Privateigentum und eigenständiger Firmenführung bedeutete jedoch nicht gleichzeitig eine Öffnung zu Menschenrechten und Demokratie.
Im Jahr 1817 weissagte der nach St. Helena verbannt Napoleon: »Wenn China erwacht, wird die Welt erzittern.
Xi Jinping bezeichnet Sommer als: »rationaler, kaltblütiger, auf Ruhe und Ordnung bedachter Herrscher«. Ruhe und Ordnung, das chinesische Prinzip. Der Kommunismus hat sich zwar verabschiedet, doch das neue System ist »ausgeprägt chinesisch«: Vom Volk verlange man absolute Vaterlandstreue, Unterwerfung. Wer sich entsprechend den Regeln verhält, wird gefördert, wer ausschert, wird massiv bestraft. »Konfuzianismus solle» sich neu etablieren, angepasst an die neue technische Welt. Die Chinesen kennen es nicht anders, seit Jahrtausenden:
Der starke Staat, der starke Mann – sie waren stets die Garanten von Stabilität und Ordnung. Ordnung aber heißt in China Einordnung, Unterordnung des Individuums in das große Ganze. Diese Einsichten, erwachsen aus der bitteren Erfahrung einer fünftausend Jahre alten Zivilisation, sind ein Teil der chinesischen DNA. Sie werden sich nicht ändern.
Die Chinesen sind seit langem kein Entwicklungsstaat mehr und sie sind längst angekommen in Europa. In Deutschland haben sie ganze Branchen zerschlagen, wie den Solarsektor. Das Projekt Seidenstraße rollt durch Europa, und China schert sich dabei weder um Umweltschutz oder Arbeitsrecht für die Arbeitnehmer. Die Huawei-Technologie beim Ausbau der 5-G-Infrastruktur besehen wir kritisch, denn China könnte unsere Leitungen abhören. Die USA tobt, droht der EU, sollte man sich für Huawei entscheiden – als wenn deren Technik sicherer für uns wäre, man denke an den NSA-Skandal. Der rasende Fortschritt in der Technik aus dem Osten überholt den Rest der Welt. Müssen wir vor China Angst haben? Sommer geht davon aus, dass China mit eignen Problemen genug zu tun hat. Überschuldung durch Subventionierung der eigenen Firmen, eine starke Überalterung durch die Einkindpolitik, Landflucht und Konzentration der Bevölkerung in riesigen Städten, wobei ein enormes Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Landbevölkerung entstand, Umweltverschmutzung im großen Stil, stellen die Regierung vor große Aufgaben.
Die Chinesen kommen als Aufkäufer von Hi-Tech-Firmen, Energie versorgen, Versicherungsgesellschaften, eingeführten Marken, Immobilien, ganze Landstriche auf verschiedenen Kontinenten – auch als Kreditgeber, vor allem in Entwicklungsländern. Sie kommen millionenfach – mit Milliarden.
Resümee am Ende: Sommer geht nicht davon aus, dass China durch den weltweiten Handel sich immer weiter demokratisieren wird. Wahrscheinlich wird die Bevölkerung die digitale Überwachung hinnehmen. China ist kein kriegerischer Staat, die Chinesen werden abwiegen, wie sie am günstigsten lautlos ihre Ziele durchsetzen. Weltweit kriecht die chinesische Raupe durch die Lande, wird immer fetter, setzt sich als Großmacht wirtschaftlich in Position. Auf keinen Fall werden sich die Chinesen vom Westen erklären lassen, dass Freiheit das höchste Gut der Menschen ist, sich Demokratie und Menschenrechte aufschwatzen lassen. Was mir am Ende zu kurz gekommen ist, ist die Position der Europäer in diesem Spiel. Vor längerer Zeit versuchten die Japaner die USA aufzukaufen und zu übertöpeln, indem man zwar gute Konditionen im fremden Land haben wollte, aber nicht bereit war, dem Fremden gleiches im eignen Land zu bieten. Als man in der USA erwachte, gab es eine Menge Gegenmaßnahmen. Letztendlich steht die Welt mit China in gleicher Situation: China kauft alles auf, verlangt gute Konditionen, aber ausländische Firmen bekommen in China Steine in den Weg gelegt. Die USA steht nun im Handelskrieg mit China, möchte sich als Weltmacht nicht ablösen lassen. Europa mittendrin, möchte sich nicht übertölpeln lassen, weder vom einen, noch vom anderen. Technisch abgehängt, braucht Europa eine neue Strategie in diesem Spiel. Da hätte ich ein wenig mehr erwartet, denn vieles in diesem Buch Beschriebene ist lange bekannt. Das letzte Viertel war für mich sehr interessant. Es ist ein sehr dickes Sachbuch, bei dem ich hin und wieder geblättert habe, weil manche Dinge zu breit gewälzt wurden. Insgesamt würde ich das Buch positiv bewerten, als Verständnis zum Reich der Mitte für die Menschen, die sich noch nie mit dem Thema befasst haben.
(das)Seidenstraßenprojekt ist klassische Großmachtpolitik.Theo Sommer, Journalist und Historiker, war 20 Jahre lang Chefredakteur der ZEIT und zusammen mit Marion Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt Herausgeber der Hamburger Wochenzeitung. Asien ist eines seiner großen Lebensthemen. Er reist seit fast fünf Jahrzehnten immer wieder nach China, oft als Begleiter hochrangiger politischer Delegationen, und hat vielfach zur Rolle Chinas in Asien publiziert.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen