Direkt zum Hauptbereich

ACAB – All Cops Are Bastards von Carlo Bonini - Rezension

Rezension


von Sabine Ibing



ACAB – All Cops Are Bastards 

von Carlo Bonini


Anfang erstes Kapitel: Um Himmels willen … Blut, Gestank von Schweiß und Tod, Gebrüll in der Dunkelheit, wie von abgestochenen Schweinen. Und die vor Erregung geweiteten Pupillen seiner Kollegen, ein Hexensabbat, bei dem Knochen splitterten und Fleisch zerfetzt wurde.

Um es gleich vorwegzusagen, wer hier einen Thriller erwartet (so steht es auf dem Cover), wird mordsmäßig enttäuscht sein, wenn er sich mit einer Reportage nicht abfinden mag. Ich mag Reportagen, insofern fand ich das Buch gut. – Kritik an den Verlag – Was habt ihr euch dabei gedacht? – ACAB ist verfilmt worden – und ja, Carlo Bonini kann bekanntlich auch gute Thriller schreiben. Der Jurist und Investigativ-Journalist hat mit diesem Buch einen tiefen Einblick in die italienische Polizei gegeben. Das ist spannend und eine Horrorstory zugleich, aber eben keine Thriller, sondern eine Reportage über die bitterböse Wahrheit. 

Tofas. Man hatte beschlossen, dass das Einsatzkommando VII in Genua mit Tofas ausgestattet werden sollte. Eine Waffe, hart wie Stahl mit Quergriff, eine traditionelle Waffe, die bei chinesischen und japanischen Kampfsportarten zum Einsatz kam. Mit diesem Zeug, das die Carabinieri schon seit geraumer Zeit verwendeten, das die Polizei jedoch nie in die Hand genommen hatte, konnte man den Schenkelknochen eines Ochsen zertrümmern.

Brutale Polizeitruppe - ausgerüstet mit üblen Schlagstöcken und Tränengas 

Trockenübung für den G8-Gipfel, Napolis Polizisten bekommen die Aufgabe, den schwarzen Block zu spielen und die Kollegen dreschen hart drauf, Polizisten müssen nach der Übung ins Krankenhaus. Leider kommt es dann beim G8-Gipfel zu heftigen Gewaltexzessen seitens der Polizei, friedliche Demonstranten werden übelst zusammengeknüppelt, die Strafen, die Jahre später ausgesprochen werden, sind ein Witz, es gibt Klagen bis hin zum europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg. Eine Eliteeinheit von 70 Männern, ausbildet in Trainingscamps, ausgerüstet mit üblen Schlagstöcken und Tränengas wurden auf die Demonstranten losgehetzt wie eine ausgehungerte Meute von Bluthunden.

Ultras aus Rom treffen auf Fußballfans aus Turin, Juve-Fans, eine wilde Prügelei beginnt, die Polizei prügelt mit, Schüsse fallen, ein Latio-Anhäger wird von einer Kugel in den Hals getroffen. Nun tobt der Krieg, den die Ultras inszenieren, in vielen italienischen Städten bricht eine Schlacht aus, der Mob tobt auf der Straße.

Ein gewalttätiger Haufen, der den Duce verehrt

Michelangelo Fournier ist der Polizist, der das Einsatzkommando VII leitete, die Hauptfigur in diesem Roman. Erstaunlicherweise wird er befördert, später dann wird der politisch rechts stehende Mann auf einen unteren Posten degradiert. Er gehört zu den »Celerini«, wie sich die Bereitschaftspolizei nennt, »das schwarze Herz der Polizei«, ein ziemlich rechter, gewalttätiger Haufen, viele von ihnen verehren den Duce, Mussolini, an die Zähne bewaffnet fühlen sie sich wie römische Legionäre. Sie nennen sich mit Spitznamen »Kobra« oder »Schneewittchen«, stammen meist aus einfachen Verhältnissen, haben keine höhere Schulbildung und ihr Lohn ist gering. Kameradschaft ist alles, was zählt, der Knüppel ist ihre Macht. Niemand verrät einen Kameraden, eher werden Berichte gefälscht, Falschaussagen gemacht. – Einen kotzt das an, er macht nicht mit.
Der Polizei gegenüber steht die rohe Gewalt der römischen Ultras, die NISS aus Napoli und Juve-Fans, jugendliche Fußballfans, zu übelster Gewalt bereit, politikverdrossen, von der Gesellschaft nicht mitgenommen, enttäuscht vom Leben und dem, was es zu bieten hat. Die NISS (Keine Begegnungen nur Kämpfe – in der Übersetzung) ordnet man der Camorra zu. Polizisten treffen auf Hooligans, Hass gegen Hass, rohe Gewalt, Mordlust auf beiden Seiten. Deeskalation ist ein Fremdwort. 

Die italienische Justiz hat elf Jahre gebraucht, um einen endgültigen Schiedsspruch über die Geschehnisse in Genua zu fällen. Von der Folter in der Kaserne von Bolzaneto bis zum Eindringen in die Diaz-Schule. Nur wenige Polizeibeamte und -funktionäre sind bestraft worden, und selbst das nur in Teilbelangen … wieder ihren Dienst aufnehmen.

Eine feine Reportage über die italienische Justiz und Polizei

Carlo Bonini hat sauber recherchiert, nennt die meisten Beteiligten beim Namen, das Buch ist in

Reportageform aufgebaut, es gibt Chatprotokolle aus dem Polizeichat, Berichte, eingestreute Gedichte usw. Dabei ist mit einer winzigen Schrift gearbeitet worden, die einem das Lesen verleidet, Schade, denn es sind teilweise lange Passagen. Er berichtet über eine Polizeischlägertruppe, die mit äußerster Brutalität vorgeht, die den laschen Staat verachtet, erzählt von Überfällen auf Migranten, von Polizeigewalt auf dem G8-Gipfel, von wöchentlichen Schlachten zwischen Hooligans vor Roms Stadien. Eine wahre Geschichte, sehr lesenswert, aber garantiert kein Thriller. ACAB - All Cops Are Bastards. ACAB wurde von Stefano Sollima verfilmt.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo

  1983 , der Polizist Noah Scott ist besessen davon, den Serienmörder Bible John zu erwischen. Er steht im Verdacht, Frauen, die aus Diskotheken verschwanden, nie wieder auftauchten, ermordet zu haben. Seit Jahren ist Noah an dem Fall dran, und er glaubt, den Täter identifiziert zu haben. Er folgt John Clyde und es gelingt ihm, auf seinem persönlichen Friedhof die Handschellen anzulegen – doch dann krampft sich etwas in seiner Brust zusammen und es wird schwarz vor seinen Augen … Ein spanischer literarischer Thriller vom Feinsten! Weiter zur Rezension:    Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo