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Misbehaving von Richard Thaler - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing



Misbehaving 


von Richard Thaler

Was uns die Verhaltensökonomik über unsere Entscheidungen verrät


Tatsächlich sehen viele Menschen sie (die Wahrheit) nicht ein, wenn man sie ihnen erklärt hat, wie es auch bei Ihnen der Fall ist. Aber die Logik ist zwingend. Für einen Wirtschaftswissenschaftler waren diese Ergebnisse irgendwo zwischen verwirrend und widersinnig angelegt.

Der Nobelpreisträger Richard Thaler kritisiert hier anschaulich, dass Ökonomen bis heute mit dem unrealistischen Modell des Homo oeconomicus Modellrechnungen betreiben, im Gegensatz sich in der Realität Menschen stets gegen Rationalität und Logik verhalten. Allerdings folgt diese Irrationalität stets bestimmten Mustern. Warum fällt es uns so schwer, Geld fürs Alter zurückzulegen, obwohl dies vernünftig wäre? Warum essen wir bewusst Dinge, die uns schaden? Warum sind unsere Neujahrsvorsätze fast immer zum Scheitern verurteilt? In diesem Buch fasst er die Forschungen der Verhaltensökonomik zusammen, begräbt die Markteffizienzhypothese und zeigt anhand vieler Beispiele aus Beruf und Alltag amüsant und verständlich, warum das Konzept des rational handelnden Homo Oeconomicus ein fataler Irrglaube ist. Sein Ansatz wurde anfänglich belächelt, ist nun aber anerkannt und trug unter anderem dazu bei, Mechanismen auf den Finanzmärkten besser zu verstehen.

Das Gefühl rechnet mit

Thalers BWL-Studenten beschwerten sich bei ihm, seine Klausuren seien zu schwer. Es waren maximal 100 Punkte zu erreichen und die Durchschnittswerte pendelten sich bei 72 Punkten ein. Zu wenig Punkte waren zu erreichen, so die Kritik – nur Mittelmaß. Er setzte die maximale Punktzahl auf 137 und der Durchschnitt lag jetzt bei 96 Punkten. Die Studenten waren nun voll zufrieden mit ihren Ergebnissen. Ein emotionaler Wert – BWL-Studenten sollten rechnen können, der Durchschnitt blieb mittelmäßig, aber der Mensch ist ein Gefühlstier.

Viele verhaltensökonomische Arbeiten haben gezeigt, dass manche vermeintlich irrelevante Faktoren tatsächlich für die Vorhersage von Verhalten höchst relevant sind.

Menschen bezeichnen Besitztümer als wertvoller, als die Dinge, die sie kaufen könnten

Jemand vergibt einen Job, zum Beispiel Rasenmähen, zahlt ein Hungergehalt, hält das für angemessen. Gegenfrage: Würden Sie den Job für das Gehalt machen? Ein klares Nein. Jemand kauft Wein, die Flasche für 10 Dollar. Nach ein paar Jahren könnte er den Wein für 100 Dollar die Flasche weiterverkaufen. Er trinkt den Wein aber lieber selbst zu besonderen Anlässen, denn es ist nun ein wertvolles Tröpfchen. Gleichzeitig würde es ihm nie einfallen, für eine Flasche Wein 100 Dollar auszugeben. Menschen bezeichnen Besitztümer als wertvoller, als die Dinge, die sie kaufen könnten. Eigentum verbleibt, auch wenn es unökonomisch ist. Thaler bezeichnet dies als «Endowment Effect» (Besitztumseffekt), der aus der Physik abgeleitet wird, das Phänomen der Trägheit, das «Status-quo-Verzerrung» genannt wird.

Wir gehen von der Annahme aus, dass jeder Mensch zwei Identitäten hat. Das sind der vorausschauende Planer, der gute Absichten hat und sich um seine Zukunft sorgt, und ein unbekümmerter Macher, der für die Gegenwart lebt. … Die Planerin hat zwei Typen von Werkzeugen, mit denen sie das Verhalten der Macher beeinflussen kann … durch Belohnungen oder Bestrafungen zu beeinflussen … oder sie kann Regeln auferlegen, die Optionen der Macher zu beschränken.

Verlust trägt mehr zum inneren Ärger beiträgt, als ein Gewinn zum Glück

Thaler berichtet über das bekannte psychologische Phänomen, dass ein Verlust wesentlich mehr zum inneren Ärger beiträgt, als ein Gewinn zum Glück. Ein minimaler Verlust löst intensivere Gefühle aus, als ein größerer Gewinn. Und natürlich bedeutet ein Gewinn von 1000 Dollar dem einen viel, dem anderen fast gar nichts – je nachdem wie viel er davon profitiert – einfacher Arbeiter versus Multimillionär. Hier sind wir dann auch bei den Größenverhältnissen angelangt. An einem gutbesuchten Strand wären Männer bereit für eine Flasche Bier zum Mitnehmen in einem guten Hotel fast das Doppelte zu zahlen, als in einem kleinen Laden, wo sie diesen Preis als Wucher empfinden würden. Kunden würden für einen Radiowecker, der 45 Dollar kostet, der in einem anderen Laden für 35 Dollar zu haben ist, zum nächsten Geschäft fahren, um Geld zu sparen. Allerdings würden sie bei einem Fernseher, der 495 Dollar kostet, nicht die 10 Minuten mit dem Auto fahren, um ihn für 485 Dollar zu erwerben. Die Ersparnis wäre jeweils 10 Dollar. Der Mensch ist ein Schnäppchenjäger, freut sich riesig, wenn er ein anscheinend gutes Geschäft gemacht hat. Da nützt es auch nichts, immer wieder zu erklären, dass oft mit reduzierten Mondpreisen geworben wird, der Verbraucher übers Ohr gehauen wird. Wir sind Gefühlsmenschen. Und so wirkt ein einzelnes Schnäppchen stärker auf die Ausschüttung von Glückshormonen als Dauertiefenpreise. Dauertiefenpreise sind nett – irgendwann gewöhnen wir uns dran. Ein Geschäftsmodell, dass immer wieder 2 für 1 anbietet, lockt letztendlich mehr, als ein Produkt, das dauerhaft zu einem günstigeren Preis angeboten zu werden.

Kreditkarten, Rentensparmodelle, es gibt eine Menge interessante Beispiele zum irrationalen menschlichen Verhalten zu lesen. Richard Thaler präsentiert uns menschliches Verhalten auf eine verständliche Weise, mit humoristischem Unterton. Ein Sachbuch nicht nur für Ökonomen!


Richard Thaler, geboren 1945, ist Professor für Behavioral Science and Economics an der University of Chicago. Er zählt zu den weltweit führenden Experten für Verhaltensökonomik und war u. a. Berater des US-Präsidenten Barack Obama. 2017 erhielt er für seine Forschungen zur Wirtschaftspsychologie den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.


Richard Thaler 
Misbehaving
Origialtitel: Misbehaving. The making of the behavioral economics
Was uns die Verhaltensökonomik über unsere Entscheidungen verrät
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt
Sachbuch: Ökonomie, Verhaltensökonomik, Verhaltenspsychologie
Siedler Verlag, 2018, 512 Seiten

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