Rezension
von Sabine Ibing
Connect
von Julian Gough
Der Anfang: Sie betritt Colts Zimmer, ohne anzuklopfen. Ihr Sohn hat wieder den Helm auf. Er bewegt die Arme, den Kopf. Spielt in seiner Gamewelt. Für ihn ist das völlig real. Das schwarze Plastik bedeckt gerade so seine Augen, die Nase und Ohren. Genug, um die Welt auszuschließen.
Der achtzehnjährige Colt (nach ebendiesem von seinem Vater getauft) hat eine Phobie vor Menschen, mag auch sein, dass er genetisch sozial kontaktgestört ist. Und weil er in der Schule nicht klarkam, unterrichtet ihn die Mutter zu Hause. Sollte sie. Der hochintelligente Junge bringt sich den Unterrichtsstoff aber selbst bei – eben nur das, was ihn interessiert und er programmiert den ganzen Tag online an einem selbsterschaffenen Computerspiel, das ziemliche viele Nutzer hat. Meist trägt er einen Helm, mit dem er sich dreidimensional im Spiel bewegt, bzw. Infos online und per Kontakt abrufen kann, sich in Geräte einloggen kann. Als Hacker hat er auch Talent; er mag keine feste Nahrung, trinkt nur Smoothies, die seine Mutter genau ernährungsgerecht zusammenstellt. Überbehütet, menschenscheu, egoman, gescheit – ob nun soziopathische oder antisoziale Persönlichkeit – er ist ein Nerd. Die Mutter ist allerdings nicht besser, sie ist Wissenschaftlerin, forscht in der Neurologie. Auch sie ist menschenscheu, traumatisiert durch Missbrauch in der Kindheit, eine devote Frau. Eigentlich liebt sie harten Sex mit Fesselspielen, nimmt aber Pillen, um ihr Libido zu unterdrücken. Gut herausgearbeitete Figuren, detailverliebt in der Darstellung.
Hör zu, in der alten Sowjetunion›, sagte Jaakov und hat den Blick in eine Ferne, in seine Kindheit gerichtet, ohne ihr Entsetzen mitzukriegen, ‹wo dem Staat jede Druckerpresse gehört hat und jede Schreibmaschine registriert war. Da musste man die Leute gar nicht davon abhalten, subversive Bücher zu schreiben. Man musste nur deren Verbreitung verhindern. Wie bei der Hygiene und den Bakterien. Ideen müssen sich verbreiten, damit sie Schaden erzeugen können.
Anfänglich zu langatmig, wissenschaftlich - ab der Mitte Actionstory
Colt hackt sich regelmäßig in Mutters wissenschaftliche Aufsätze, und sendet einen davon ab, damit Naomi in NY auf einem Kongress über ihre Forschung berichten kann. Dank Florfliege und Raupen hat sie eine Methode gefunden, die einfache Körperteile wie Arme und Beine in Kürze nachwachsen können lässt. Sie wird eingeladen und vorher seitens ihres Exmanns, der dem Militär zugehörig ist, gewarnt: Sag den Vortrag ab! Das macht sie nicht, veröffentlicht ihre Arbeit, die von Zauberhand sofort von allen Servern der Welt gelöscht wird. Derweil hat auch Colt mit sich selbst ein völlig verrücktes Experiment durchgeführt. Das Militär is not amused – auf der anderen Seite hochinteressiert. Der Thriller beginnt. Wer es bis hierher durchgehalten hat, kann etwas aufatmen, denn der Autor ergeht sich in der ersten Hälfte in totale Einzelheiten der Mathematik, Informatik, Biologie, zitiert Wissenschaftler. Programme mit ihren Algorithmen werden detailliert beschrieben. Mir haben ein paar Leute gesagt, nach 100 Seiten hätten sie das Buch zugeklappt. Andre – eben die, die aus dem Metier kommen – waren begeistert. Ich habe das gelöst, indem ich immer wieder querlas, Seiten überblätterte. Auch in dieser Story finden wir wieder die Adaption zu Marry Shellys Frankenstein, wie so oft in den Roman, die sich mit der nahen Zukunft beschäftigen. Eine neue Erfindung, die die Welt revolutioniert – sofort ist das Militär dabei, will das Ganze militärisch verwerten, dem Rest der Welt den Zugang verweigern. Ein altes Thema. Ab der Mitte ein bewährter Actionroman – die guten laufen in jede Falle, werden gejagt, schaffen es immer wieder zu entkommen … die Heldenstory, die irgendwann ins Unglaubwürdige kippt, Nerds die sich plötzlich beweisen müssen. Letztendlich auch nichts Neues. Hier ist darüber hinaus der Vater der Antagonist. Letztendlich ist das für mich eine Story vom Reißbrett, die anfänglich heftig bremst, da sie detailverliebt alle die Leser abschreckt, die nicht aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich stammen. Zusätzlich ist der Schreibstil gewöhnungsbedürftig – nur etwas für geübte, geduldige Leser. Die Story ist nicht schlecht, teilweise recht interessant. Aber sicher ist dies ein Roman für ein kleines Publikum. Woher warum die Feuilletons dies Buch hochgejubelt haben, ist mir ein Rätsel.Julian Gough, geboren 1966 in Irland, aufgewachsen in der Nähe von London, war Sänger der Rockgruppe »Toasted Heretic«, schrieb Romane, Gedichte, Kinderbücher (»Rotzhase und Schnarchnase«) und die Geschichte, die das Computerspiel »Minecraft« abschließt (Minecraft End Game Poem). 2007 gewann er den National Short Story Award der BBC.
Julian Gough
Connect
Originaltitel: Connect, 2018
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet
Thriller, Dystopie
C. Bertelsmann Verlag, 2019
Hardcover, 624 Seiten
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