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Zornfried von Jörg-Uwe Albig - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Zornfried 

von Jörg-Uwe Albig


Anfang: Beim Wort Spessart hatte ich mir natürlich einen Zauberwald vorgestellt, eine Hänsel-und-Gretel-Geisterbahn aus Wurzeln und irrem Gestank. Natürlich hatte ich an Räuber gedacht, an Wirtshaus und Spukschloss, an schwarze, endlose Dunkelheit, aus der kein Entkommen war. Dieser Wald war aber nicht unheimlich. Er ging mir nur auf die Nerven.

Seine Lippen zu mümmeln wie bei einer Weinprobe

Jan Brock, ein Journalist, findet heraus, dass der eigentümliche Dichter Storm Linné auf Burg Zornfried im Spessart wohnt und bittet um ein Interview. Überraschend erhält er eine Einladung von dem scheuen Dichter zu einer Homestory und reist in den Spessart. Kurz vor dem Ziel warnt das Navi: »Drehen Sie, wenn möglich, um.« Der Burgherr, Hartmut Freiherr von Schierling, zeigt sich als völkisch-rechtskonservativ, der um sich Gleichgesinnte versammelt, die allesamt den Poeten verehren. Mit Interesse, aber einer gewissen inneren Distanz, versucht der Journalist das ihm unverständliche Milieu zu verstehen. Storm Linné bekommt er zunächst nicht zu Gesicht, doch dann trägt im Kreis seiner Verehrer seine Werke vor: »Dann begannen seine Lippen zu mümmeln wie bei einer Weinprobe, genießerisch und zugleich voll Abscheu.«
Grotesk in Szenerie und Darbietung:

Dort wo der fuchs in scharfer waid den hasen schlägt
Wo raupen-schmaus erstirbt durch schnabels wucht
Wo grauer rudel hunger nachts durch tannen schnürt
Der kitze frevel-zahl im fraß zu bannen sucht
Dort wächst die einheit die aus zwietracht lebt
Der hohe friede der durch blut gemehrt
Dort sprießt der tausendfache tod der segen bringt
Im wald der die moral des lebens lehrt.

Walhalla-Sound

Der Roman ist als Satire angelegt, obwohl, diese Gruppierung die Satire an sich selbst ja schon ist. Und natürlich ahnt man, wer hinter diesen Typen stecken soll, denkt an Götz Kubitschek, der sich auf seiner Burg in Schnellroda gern Journalisten einlädt. Der kurze Roman ist gefüllt mit Gedichten vom fiktiven Storm Linné, grotesk, witzig, mystisch voll Walhalla-Sound. Slapstickartige Übungen zu Aufmärschen im Burghof von jungen Germanen, teutsch, Gelage die an die ritterliche Tafelrunde bei völkischem »Ziegencouscous mit gehäckselten Runkelrüben«, serviert von des Burgherren Töchter machen das Lesen zum Vergnügen.

Mit dem Schwert im gleißenden Lichte

»Und so sei die Buche und nicht etwa die Eiche der deutscheste aller Bäume«, erklärt der Burgherr dem Journalisten, wenn er verstehen wolle, so müsse er sich in den Wald begeben. Der Waldspaziergang bringt Einsichten, doch die Ansichten bleiben ihm fern. Jenny Zerwien, einer Kollegin scheint es besser zu gelingen, »unvoreingenommenen Meinungsaustausch« zu finden und Schierling findet mehr Gefallen an ihr als an Brock, den er ermahnt, im Gespräch nicht immer die Nazi-Keule zu schwingen. Man sei hat teutsch, mit den braunen Jungs habe man nichts zu tun. Zerwien hat auch einen Fotografen im Schlepptau, drückt dem Burgherren zum Gruppenfoto ein Schwert in die Hand und positioniert ihn so, dass ein Sonnenstrahl ihn auf dem Foto in gleißendes Licht hüllt.

Freude sei das, was im Kampf entstehe, in der Eroberung, im schöpferischen Werk. Sogar im Tod, wenn er Sinn trage, sei die Freude zu Hause, sagte er. Gute Laune sei dagegen das, was beim Anschauen einer Gameshow im Fernsehen aufkomme, sagte Schierling.

Satire im Kyffhäuser-Mythos 

Jörg-Uwe Albig hat hier eine amüsante Satire im Kyffhäuser-Mythos aufs Papier gelegt mit vielen Anspielungen auf die völkische Szene. Männlicher Stolz, deutscher Wald, die Wacht am Rhein und nicht zu vergessen unser Dichter Storm Linné, das ist Deutschland! Jetzt hätte ich es fast vergessen: Ziegencouscous mit gehäckselten Runkelrüben gehören auch dazu.

Irgendwann hielt ich das Theater nicht mehr aus. Ich nahm einen Schluck vom Dinkelbier und hielt meinen Couscousteller hoch. Laut sagte ich in die Runde: Auf dem Obersalzberg hätte es sowas aber nicht gegeben.

Jörg-Uwe Albig studierte Kunst und Musik in Kassel, war Redakteur beim »Stern« und lebte zwei Jahre als Korrespondent einer deutschen Kunstzeitschrift in Paris. Seit 1993 arbeitet er als freier Autor in Berlin. Er schreibt u.a. für »GEO« und das »SZ Magazin«.

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