Direkt zum Hauptbereich

Sohn des Himmels von Chen Jianghong - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Sohn des Himmels 

Chen Jianghong


Das Mond Fest oder Mittherbstfest, auch Mid-Autumn Festival genannt, bei dem man sich gegenseitig selbst gemachte Mondküchlein schenkt, gehört in China zu einem der wichtigsten Festen. Diverse Legenden und Sagen mystifizieren diesen Tag, ebenso seine Gebräuche. Die Chinesen nutzen diesen Tag, um sich mit Ihren Familien zu treffen, abends den Vollmond zu betrachten. Der nämlich symbolisiert in der chinesischen Kultur den Frieden und Wohlstand der Familie, Zusammengehörigkeit. Nach dem traditionellen chinesischen Kalender gibt es in der Mitte des achten Mondmonats den vollsten Mond – ebenso symbolisiert die Zahl Acht in der chinesischen Kultur den Reichtum und Wohlstand. Eine dieser Legenden ist Gegenstand dieses Bilderbuchs.



Prinzessin Xian-Zi, die Tochter des Jade-Kaisers, lebt im Palast des Himmels. Neugierig auf die Erde, steigt sie eines Tages heimlich hinunter, verliebt sich dort, heiratet einen Erdling und bleibt bei seiner Familie. Das Paar bekommt einen Sohn. Voller Zorn schickt der Jade-Kaiser seine Soldaten hinab, lässt Xian-Zi zurück in den Himmelspalast bringen. Ihr Sohn macht er sich Jahre später auf, seine Mutter zu finden.



Chen Jianghong verbindet seine Geschichte mit der Legende um die Mondküchlein, die in China beim Mondfest in der Familie verschenkt werden. Der Jadekaiser (chin. Yu = Jade), ist eine der wichtigsten Gottheiten in der chinesischen Mythologie. Der Jadekaiser wird im Daoismus als Hauptgott verehrt und gilt als höchstes Prinzip des Himmels. Nach daoistischer Auffassung galt der Kaiser von China als irdischer Sohn des Jadekaisers, genannt der Sohn des Himmels.

Es ist eine schöne Legende über den Schmerz des Kindes, seine Mutter verloren zu haben und den Schmerz der Mutter, ihr Kind nicht sehen zu dürfen. Die Geschichte geht gut aus, zumindest ein Stück. Chen Jianghongs Bücher bewegen sich meist im chinesischen Kulturkreis. Chen versteht sich als Mittler der chinesischen Kultur: Kindern möchte er »sein« China zeigen. Allerdings hat dies nicht mehr viel mit dem heutigen China zu tun, es ist das China der Kaiserzeit, der Mythen und Legenden. In seinen Büchern verbindet er traditionelle Malstile und alte chinesische Geschichten mit moderner Erzählweise. Seine Art der Aquarelle im chinesischen Stil berühren. Bildgewaltig, voller Dynamik und Farbkraft beeindrucken die Grafiken. Schon allein für die Illustration muss man das Bilderbuch lieben. Natürlich, weil dies eine alte Legende ist, ist nicht nur der Malstil traditionell, sondern es kommen mystische und symbolträchtige Figuren vor: der Jadekönig, Drachen, chinesische Gärten mit Brücken, der Kranich, Kimono, Zopffrisur. Es ist das alte China, das Kaiserreich, ein Stück der chinesischen Kultur. Ein Buch, an dem man nicht vorbeigehen sollte. Als Erwachsener lese ich hier noch ein wenig mehr heraus: Ein Bilderbuch, das vom Schmerz der Trennung spricht, Trennung von Familien, rücksichtslose Gewaltausübung der Mächtigen. Auch das ist ein Stück chinesischer Tradition, vom Kaiserreich, über die maoistische Zeit bis in das moderne China: Gnadenlose Regierungen, die Menschen trennen, ein Volk ohne Rechte, unter der Knute seit Jahrtausenden.




Die Drachen sind ein wesentlicher Bestandteil der chinesischen Kultur. Er bestimmt die Jahreszeiten und die Ernte. Im Winter fühlt er sich im Wasser wohl, im Frühsommer, die Zeit der großen Regenfälle, steigt er in den Himmel auf. Man nannte den kaiserlichen Thron Drachenthron. Wer heute allerdings vom »Drachen China« spricht, meint in der Regel die Wirtschaftsmacht China. Der Kranich ist nach dem Phönix der wichtigste Vogel in der asiatischen Mythologie. Der Symbolgehalt des Kranichs ist vielfältig. Grundsätzlich steht er für die Langlebigkeit.


Chen Jianghong wurde 1963 in der chinesischen Hafenstadt Tianjin geboren. Da die Eltern berufstätig waren, wuchsen er und seine beiden älteren Schwestern hauptsächlich bei den Großeltern auf. Die Kulturrevolution prägte seine Kindheit: Die Familie hatte wenig Geld, wenig Essen und an Bücher oder Papier zum Zeichnen war nicht zu denken. Deshalb, sagt Chen, sei das Entdecken, Malen und Schreiben von Kinderbüchern heute seine Revanche: »Ich mache die Bücher jetzt selber, die ich in meiner Kindheit nicht hatte.« Nachdem Chen in China ein Kunststudium abgeschlossen hatte, machte er sich 1987 auf den Weg gen Westen, um in Paris seine Studien fortzusetzen. Zunächst widmete er sich der freien Kunst, bevor er fast zufällig zur Illustration kam. Für seine Bücher wurde Chen mit wichtigen internationalen Preisen im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet, darunter dem Prix Sorcières (2004) und dem Deutschen Jugendliteraturpreis (2005).


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Rezension - Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Dieses witzig-gruslige Jugendbuch, bzw., schlicht Comic, nimmt eine über 100 Jahre alten Geschichte von John Kendrick Bangs auf. Die Comic-Zeichnerin Barbara Yelini interpretiert die Story neu mit wundervollen Wasserbildern. Ein wundervoller Comic für Jugendliche, die nicht sehr lesebegeistert sind. Zur Rezension:    Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Kreativ - Kunst - Zeichnen - Lesen - Künstler - Was gibt es Neues?

Kreativ - Kunst - Zeichnen - Lesen - Künstler - Was gibt es Neues? Große Kunst wird gekauft und verkauft, sie kommt unter den Hammer und wird vorn und hinten versichert. Kleine Kunst ist kein Produkt. Sie ist eine Haltung. Eine Lebensform. Große Kunst wird von ausgebildeten Künstlern und Experten geschaffen. Kleine Kunst wird von Buchhaltern geschaffen, von Landwirten, Vollzeitmüttern am Cafétisch, auf dem Parkplatz in der Waschküche.  (Danny Gregory) Das Farbenbuch von Stefan Muntwyler, Juraj Lipscher und Hanspeter Schneider Als ich dieses Kraftpaket von Buch in den Händen hielt, war ich zunächst einmal platt. Wer dieses Sachbuch hat, benötigt keine Hanteln mehr! Aber Spaß beiseite, wer dieses Buch gelesen hat, hat auch keine Fragen mehr zum Thema Farben. Farben werden aus Pigmenten hergestellt, soweit bekannt. Die beiden Herausgeber sind der Kunstmaler Stefan Muntwyler und der Chemiker Juraj Lipscher, beide lebenslange Farbspezialisten, und dies ist ein Kompendium der P

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v