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Kohnversation – Cartoons von Ruth und Charles Lewinsky - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Kohnversation – Cartoons 


von Ruth Lewinsky  und Charles Lewinsky


Zunächst lasse ich Charles Lewisky selbst etwas zu seinem neuen Buch sagen:

Traditionellerweise beginnen alle jüdischen Witze mit den Worten ›Treffen sich zwei Juden…‹ In diesem Büchlein treffen sich ganz viele Juden, und einer der Gesprächspartner heisst immer Kohn. Darum: Kohnversation. Eigentlich ist es gar nicht mein Buch, sondern das meiner Frau Ruth, von der all die wunderbaren Zeichnungen stammen. Die jüdischen Comics sind ursprünglich als Serie für eine Zeitschrift entstanden …

Jiddischer Humor hat mir schon immer gefallen. Er ist trocken und handelt in der Regel über den Menschen selbst. Die Logik ist immer schlüssig und darum nie beleidigend. Menschen, die über sich und ihre Religion selbst lachen können, sich nicht so ernst nehmen. Es ist doch logisch, warum am Sabbath die meisten Unfälle passieren – auch die Schutzengel dürfen nicht arbeiten. - Ein Mann namens Kohn ist unterwegs in der Welt, er trifft auf viele Leute, mit denen er sich unterhält. Es gibt eine Menge Wörter in der deutschen Sprache, die jiddischen Ursprungs sind, das wurde mir beim Lesen der Lektüre wieder einmal klar: Masseltov, Mischpoche, abgezockt, das ist uns nicht koscher, meschugge, der redet einen Stuss, abgekocht, der Großkopfiger, schmiere stehen, das Kaff müssen wir ausbaldowern und vieles mehr. Ich habe mich königlich amüsiert mit diesen Cartoons und nebenbei einiges über jüdische Tradition gelernt, die mir nicht geläufig waren. Was wäre das dümmste Kochbuch der Welt? »Koschere Kochrezepte für Jom Kippur – dem Versöhnungstag, ein strenger Fastentag«.



Aber es geht hier nicht nur um Religion, sondern auch um ganz Alltägliches: Es wäre einfacher die Brille zu finden, wenn man sie aufhätte. Warum haben Hühner Angst vor einem Mann, warum muss einer wissen, ob Pelikan koscher ist? Es gibt eine einfache Antwort darauf, warum der Nahe Osten nicht gerecht ist und warum Regen am Sabbath stört.



Religiöse Vorschriften, die das Leben schwer machen, Familiensorgen, Alltagsstress, essen und kochen, Finanzen, Antisemitismus, mit feinem Humor bringt das Ehepaar gemeinsam mit Feder und Text die Cartoons zu Papier. Frauen und Kinder kommen nicht vor, außer man redet über sie, die Kohnversation bleibt unter Männern – Männer mit langen Bärten, langen Mänteln und Hut, orthodoxe Juden. Ist dies auch ein Seitenhieb auf die Orthodoxen und ihre strengen Vorschriften? Antisemitismus wird mehrfach ad absurdem dargestellt: Ein Hund rennt Kohn hinterher und kläfft, worauf dieser ihn als Antisemit beschimpft. Abgrenzung durch klare Tradition und Kleidung, die gleichzeitig Aufmerksamkeit zieht und verstört, auch hier ein Seitenhieb. Goethe soll ein Jude gewesen sein. – »Ist das wahr? – Nein, aber es ärgert die Antisemiten.«



Auf den Punkt gebracht mit feinem Federstrich, pointierte Texte. Ein wirklich amüsanter Cartoonband ist hier gelungen. Zu den Festtagen, Wörtern, Traditionen gibt es auch unter den Zeichnungen kleine Erklärungen. Eins hat mir gefehlt: Die Erklärung, was Kohnversation bedeutet, und auf welche Weise diese Cartoons entstanden sind. Das habe ich durch den Besuch der Website von Charles Lewinsky erfahren. Meiner Meinung nach hätte das ins Buch gehört, ebenso eine kleine Information über das erfolgreiche Ehepaar.

Kohnversation erzählt von Glück und Unglück, von Mischpoche und Familie, von klugen und dummen Leuten, von der Gerechtigkeit Gottes, von Armut und Reichtum, von Nudisten, Schutzengeln und koscherer Pizza. (Verlag Nagel & Kimche in der Verlagsvorschau)


Ruth Lewinsky, geboren 1944, ist ausgebildete Grafikerin. Sie besuchte die Schule für Bühnenbild und Kostümentwurf in München. Arbeitet als Illustratorin, u. a. der Texte ihres Mannes Charles Lewinsky, und als Craniosacral-Therapeutin. Charles Lewinsky wurde 1946 in Zürich geboren. Er arbeitete als Dramaturg, Regisseur und Redakteur. Er schreibt Hörspiele, Romane und Theaterstücke, verfasste über 1000 TV-Shows und Drehbücher, etwa für den Film »Ein ganz gewöhnlicher Jude«. Für den Roman »Johannistag« wurde er mit dem Schillerpreis der Zürcher Kantonalbank ausgezeichnet. Sein Roman Melnitz wurde in zehn Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. in China als Bester deutscher Roman 2006, in Frankreich als Bester ausländischer Roman 2008. Lewinskys jüngste Romane wurden für die bedeutendsten deutschsprachigen Buchpreise nominiert: »Gerron« für den Schweizer Buchpreis 2011, »Kastelau« für den Deutschen Buchpreis 2014 und »Andersen« für den Schweizer Buchpreis 2016.

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