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Die Brandstifter von R. O. Kwon - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Die Brandstifter 

von R. O. Kwon


Der erste Satz: Vermutlich hatten sie sich auf einem Flachdach in Noxhurst versammelt, um die Explosion zu sehen. Platt Hall vielleicht, elf Stockwerke hoch: Ich kenne sein Ego – garantiert hatte er den höchsten Punkt der Gegend gewählt.

Schon auf der ersten Seite wird dem Leser klar, dass es sich bei der Geschichte um ein Drama handelt. Es ist ein Bestseller aus den USA. Phoebe und Will lernen sich im ersten Studienjahr an der prestigeträchtigen Edwards University kennen. Will ist Stipendiat, kommt aus einfachen Verhältnissen, mag das nicht zugeben, erfindet Geschichten, tut sich schwer, sich zwischen den Mitstudenten aus betuchtem Haus zurechtzufinden. Um zu überleben, arbeitet er als Servicekraft bei einem Edelitaliener und später bekommt er zusätzlichen einen Assistentenjob bei seinem Professor. Er lernt Phoebe kennen, ein hübsches Mädchen, voller Energie und Lebensfreude, sofort bei jedermann beliebt. Die beiden verlieben sich ineinander, ein vorsichtiges Herantasten an den anderen. Wills Liebe ist obsessiv – Phoebe ist sein Halt an diesem Ort. Sie ist Mitglied einer Gruppe, die sich um John Leal scharrt, ein charismatischer Mann, der nur barfuß geht, behauptet, er sei in China von nordkoreanischen Agenten entführt worden und er habe Jahre in einem Gulag in Pjöngjang verbracht. Irgendwann habe man ihn freigelassen, über den vereisten Fluss barfuß nach China zu gehen lassen, grinsend, weil bisher jeder ins Eis eingebrochen war. Doch er hat es geschafft – der Mann, der über das Wasser ging. Er ist sehr christlich engagiert und setzt sich als Abtreibungsgegner ein, stellt das säkulare Denken der Studenten in Frage. Will stellt fest, dass Phoebe seelisch nicht stabil ist, sie steckt voller Schuldgefühle, weil ihre Mutter bei einem Autounfall starb – sie selbst saß am Steuer und obendrein wollte sie, trotz hohem Talent, nicht dem Wunsch ihrer Mutter nachkommen, Pianistin zu werden.

Ich hob Phoebes Hand und küsste zerkaute, wie Quarz schimmernde Nägel, würde ich heute, im Nachhinein, sagen – Schätze, die ich mir vom Mond gestohlen hatte.

Die Studenten scharren sich um einen Guru

Phoebe nimmt Will mit ins Haus von John Leal, und er beobachtet, wie Leal ganz übergriffig ungefragt in Phoebes Handtasche herumwühlt, ohne dass sie etwas dazu sagt. Was ist das für ein Typ, den alle Anwesenden anhimmeln? Will, ein Logiker, nimmt ihm auch die Gulag-Geschichte nicht ab. Immer mehr Zeit verbringt Phoebe in der Gruppe. Will will sie davon abhalten, mit all seiner Liebe … Er tritt sogar in die Gruppe ein, um zu beobachten, was vorgeht. John Leal nennt seine Gruppe nun Jejah, zieht in eine abseits gelegene Hütte.

Sie ging weiterhin zu den Treffen mit John Leals Gruppe. Jejah nannte er die Gruppe – ein Tribut an das neue Leben, das er nach dem Gulag begonnen hatte. … Es bedeutet Jünger auf Koreanisch …

Fragile Persönlichkeiten sind anfällig

R. O. Kwon beschreibt hier sehr eindrucksvoll, wie anfällig fragile Persönlichkeiten für religiöse Ideen, terroristische Ideale sind. Wir leben in einer Welt, die von Leistungsdruck geprägt ist und ringsherum löst sich alles auf in einer globalen Welt voller Katastrophen, die Worte werden härter, radikale Positionen setzen sich durch. Die Menschen suchen nach Werten. Wenn man den inneren Halt nicht finden kann, dann steht Gott bereit – ein Ideal. Gerade junge Menschen sind anfällig, sie wollen sich für eine Idee einsetzen. Der Roman ist personal über die drei Hauptprotagonisten angelegt, gibt Einblick auf ihre Sichtweisen. Und das ist sehr raffiniert geschrieben: John Leals Leben und Denken wird auktorial erzählt. Will berichtet als Icherzähler. Doch wer erzählt von Phoebe? – Nur nur auf den ersten Blick eine Icherzählerin: »Bei der nächsten Jejah-Beichte hatte Phoebe vielleicht erzählt, ich …« (Beginn eines Phoebe-Kapitels)

So außergewöhnlich kam mir dieses Aufnahmeritual nicht vor: Die üblichen alkoholisierten Mutproben, dachte ich anfangs, nicht allzu anders als das, was ich mitgemacht hatte um Mitglied von Phi Epsilon zu werden. Sogar die Taufe hatte eine Parallele …

Man muss machtlos zusehen, was geschieht

Will ist machtlos gegen das Dogma, verzweifelt begreift er, was vorgeht, doch er gibt nicht auf – obwohl er weiß, dass er verlieren wird. Die Autorin zeigt auf, wie der Sektenführer ganz langsam Macht über die jungen Leute erreicht, er lässt sie zum Beispiel Löcher graben, dann wieder zuschütten, um den Kopf zu befreien, wie er sagt. Später kommt Büßertum dazu. Sich schlecht fühlen, sich als Sünder zu sehen, eine typische Form der Erniedrigung, der sich Religionen bedienen, um ihre Anhänger weiter an sich zu binden, damit diese Heilung in der Idee finden. Auf der anderen Seite zeigt R.O. Kwon die Machtlosigkeit von Menschen, die sehen, wie sich geliebte Personen ins Unglück stürzen – selbst bedingungslose Liebe reicht nicht aus. Aber es gibt auch hier zwei einschneidende Ereignisse, die das Band der beiden lösen, bzw. zerschneiden.

Der Faden zwischen uns wurde weniger straff, und der Durchhang wickelte sich wie eine erschöpfte Schlange zwischen unseren verbundenen Füßen auf.

Ein Thema unserer Zeit

Der Roman ist mit 238 Seiten im Kleinformat knapp bemessen, in Sequenzen, Szenen gesetzt. Manche Sätze sind überschrieben, zu zuckrig, zu abstrus. Aber die Stellen kann man an einer Hand abzählen. Ich bin mit mir uneins, ob bei diesem Buch eine etwas tiefere Ausgestaltung der Protagonisten nicht besser gewesen wäre, denn mache Kapitelübergänge klingen wie zusammengeheftet. Aber insgesamt ist der Roman sehr gut und absolut lesenswert.


R.O. Kwon wurde in Seoul geboren und wuchs in Los Angeles auf. Sie schreibt für verschiedene amerikanische Tageszeitungen und Magazine. Ihr Debütroman »Die Brandstifter« avancierte 2018 in den USA zu einem Bestseller und galt vielen Kritikern als eines der besten Bücher des Jahres. Er wurde u.a. für den National Book Critics Circle Award und den Los Angeles Times Book Prize nominiert.

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